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Das geheime Bild

Das geheime Bild

Titel: Das geheime Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliza Graham
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freinehmen und mit ihm diese Reise machen sollen. Was natürlich vollkommen unvernünftig war, denn meine Schwester benötigte jede Stunde ihrer kostbaren Zeit, um ihre Kinder zu ihren zahllosen Aktivitäten zu chauffieren.
    Das Wasser war heiß, und meine Müdigkeit und der Stress des vergangenen Tags fielen beim Duschen von mir ab. Ich würde das hinkriegen. Ich konnte meinem Vater zur Seite stehen, egal welche Enthüllungen oder Selbstoffenbarungen diese Reise zum Vorschein brachte. Schließlich waren nicht meine Mutter oder die effiziente Clara mitgekommen, sondern ich, daraus mussten wir das Beste machen, auch wenn ich ihm nicht die emotionale und praktische Stütze sein konnte, die ihm die anderen beiden gewesen wären.
    Ich schlüpfte in eine neue schwarze Wollhose mit gerade geschnittenem Bein, wozu ich das Jerseytop anzog, das ich mir noch in letzter Minute in der Abflughalle gekauft hatte. Mein Vater nickte mir anerkennend zu, als ich mich in der dunklen Kellerbar mit ihren Fachwerkbalken zu ihm gesellte. Für neue Kleider hatte er immer etwas übriggehabt, meiner Mutter hatte er ihre Shoppingtouren nie vorgehalten, da er es für wichtig erachtete, dass sie sich als Paar so kleideten, wie ihnen dies als Schuldirektor und dessen Frau zukam. Er trank Bier, wie mir auffiel.
    »Das ist von hier.« Er lächelte. »Es gibt natürlich auch Wein, wenn dir das lieber ist.« Aber ich ging an die Bar und bestellte für mich in einer Mischung aus gebrochenem Deutsch und Englisch eine kleinere Version dessen, was er trank, und wünschte mir, ich hätte Gelegenheit gehabt, von meinem Vater ein paar Brocken Tschechisch zu lernen.
    »Es schmeckt noch so, wie ich es in Erinnerung habe«, sagte er.
    »Was werden sie uns wohl zum Abendessen auftischen?« Ich trank das Bier: Es war kalt und schmeckte fast fruchtig. Er beschrieb mir Suppen, Fleischgerichte, Pfannkuchen, Knödel. Ich fragte mich, wie sehr er dieses Essen seiner Kindheit wohl vermisst haben mochte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die in den Sechziger- und Siebzigerjahren in Letchford angebotene Küche ein guter Ersatz dafür gewesen sein konnte. Selbst meine Mutter, deren Loyalität der Schule gegenüber unerschütterlich war, gab zu, dass es klumpige Vanillesoßen, Eintöpfe von der Konsistenz schlammiger Felder und gedämpfte Puddings gab, die einem wie Beton im Magen lagen.
    Meine Ente mit Rotkohl und Knödel war köstlich. Ich ließ mich in den bequemen Stuhl zurückfallen, lächelte, sah in die Runde und amüsierte mich. Wie konnte das sein? Ich trauerte noch immer und litt unter der Auflösung unserer Ehe, aber dieses Wochenende in Böhmen war außergewöhnlich und ungeplant.
    »Ich bin froh, dass wir hergekommen sind«, ließ ich meinen Vater wissen. »Danke, dass du mich mitgenommen hast.« Er hatte darauf bestanden, mir den Flug und das Hotelzimmer zu zahlen. Ich hatte mit ihm gestritten, dann aber eingelenkt.
    Sein Blick war sanft. »Du hast so viel Ähnlichkeit mit meiner Mutter, Meredith. Ich sehe dich an, und du könntest sie sein. Sie war klein und dunkel wie du.«
    »Erzähl mir von ihr.«
    »Sie liebte die Kunst. Sie war halb deutscher Abstammung, vielleicht auch ganz, darüber ließ sie sich nie richtig aus, aber in ihrem Äußeren hatte sie etwas Italienisches. Fein geschnittene Gesichtszüge. Braune Augen.«
    »Konnte sie so gut malen wie du?«
    Er zuckte bescheiden die Achseln. »Sie war mehr an Keramik und Skulpturen interessiert. In dieser Hinsicht sehe ich eher Clara in ihr.«
    »Nicht mich?« Ich grinste, um ihm zu zeigen, dass es mir nichts ausmachte. Er hob abwehrend die Hände.
    »Sie zu verlassen war hart. Eigensüchtig, wie ich war, redete ich mir ein, sie würde schon zurechtkommen, sie war so selbstsicher, so belastbar. Dass die Russen kamen und wir wieder mit vielen Einschränkungen leben mussten, fand sie nicht so schlimm wie ich. Sie lebte in ihrer eigenen Welt. Das war ihre Stärke. Ich war schwächer. Und ihr war bewusst, dass ich nur an einem Ort gedeihen konnte, wo Freiheit herrschte. Wir hörten, dass ein Junge meines Alters erschossen worden war, weil er an eine Mauer in Prag einen antisowjetischen Slogan gepinselt hatte. Das machte ihr Angst.«
    »Also hast du dich heimlich über die Grenze geschlichen?«
    »Das war gar nicht weit weg von hier.«
    Darüber hatte ich mir bis jetzt noch keine Gedanken gemacht, da ich davon ausgegangen war, dass wir an diesem Wochenende hierhergekommen waren, weil er hier aufgewachsen

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