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Das geheime Kind

Das geheime Kind

Titel: Das geheime Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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sich nach wie vor in seiner Jackentasche. Er malte sich aus, was mit Corinne in dem Schuppen passiert war. Bei verschlossener Tür.
    Erst festhalten, wie in einem Schraubstock. Dann auf sie einreden. So weit kannte er den Ablauf bereits, oft genug erfuhr er ihn am eigenen Leib, wenn er ausrastete und wieder zur Räson gebracht werden musste. Doch bei Corinne war mehr passiert. »Weg mit dem Teil!«, hatte der Gast im Internet geschrieben. »Ich komm richtig in Fahrt.« Also ausziehen, Reize wirken lassen. Dann kam der Teil, der per Internet nicht mehr zu bewerkstelligen war, anfassen und alle möglichen Verrenkungen aufzwingen, mit aller Gewalt.
    Nicolas fuhr mit dem Daumen über die Klinge. Sie war sehr scharf.
    Wenn das so weiterging, musste er jemanden umbringen. Bald.
     
    HART WIE EIN BETONPFEILER kurz vor dem Abriss. Vera Bahling blockte alles ab, was ihre Familie betraf. Heide durchwanderte mit ihr Station für Station, der Klinikbetrieb fuhr um acht Uhr abends allmählich auf Stand-by. Schließlich landeten sie im Hof der Notaufnahme und rauchten.
    Die Frau litt wie ein Hund, ließ aber rein gar nichts heraus. Sie fasste jede Frage als persönlichen Angriff auf, beschwerte sich nicht einmal über ihren Ex-Mann. Schmerz machte manchmal blind.
    Stattdessen sprach Vera Bahling von ihrem Beruf. Strich sich dabei durch ihre von Frust und Zeitmangel verklebten Haare, aschte auf ihre Kleidung. Kinder ins Leben holen, das sei nun mal ihre Pflicht. Eine Entbindung stelle für sie den menschlichsten Akt dar, den es überhaupt gab. Was konnte dabei nicht alles schiefgehen?
    Eigentlich müsse sie jetzt zu einer Patientin, die schon über dem Geburtstermin sei. Vielleicht kam das Baby heute Nacht.
    »Verdrängen, wegschieben, woanders hinschauen«, sagte Heide. »Das geht schief. Immer.«
    »Haben Sie Kinder?«
    »Verzichte.«
    »Dann können Sie nicht mitreden. Zynismus ist eine Form von Selbsterniedrigung, das wissen Sie.«
    Mutterstolz. Heide besaß ein ganzes Arsenal von Gegenargumenten. Sie ließ es stecken und zündete sich eine neue Zigarette an.
    »Am Anfang, wenn sie noch ganz klein sind, kommt es Ihnen so vor, als würden sie niemals erwachsen werden.« Vera Bahling blickte auf den regennassen Hof. Die Pfützen verbanden sich allmählich zu kleinen Teichen. »Es dauert eine Ewigkeit, bis sich da was rührt. Kinder halten Sex für einen Witz, über den jeder lacht, wenn man ihn richtig erzählt. Die reine Unschuld. Goldene Jahre sind das. Sie dürften nie zu Ende gehen.«
    »Damals nahmen die Weibergeschichten Ihres Mannes überhand, oder?«
    »Midlife-Crisis. Er hat sich gelangweilt.«
    »Wie sehr gelangweilt?«
    Vera Bahling versteifte sich. »Klaus hat viele Fehler. Er war auch mal unbeherrscht, hat Ohrfeigen verteilt. Aber er hat nie … mehr gemacht. Auch nachdem wir uns trennten. Das war ja schon vor zehn Jahren, Thorben war damals zwölf, Corinne neun, Nicolas fünf.«
    »Warum Ohrfeigen?«
    »Kinder werden erwachsen, in Windeseile. Eine Zeit lang schauen Sie ihnen dabei zu, stolz wie nur was. Dann, ganz plötzlich, ziehen sie sich vor Ihnen zurück. Bleiben den ganzen Tag weg, kommen nicht mal mehr zum Essen heim, vielleicht noch zum Schlafen. Eltern sind dann nur noch lästig.«
    »Was auch sonst?«, meinte Heide.
    »Das schmerzt! Sie klammern sich an das Einzige, was Ihnen übrig bleibt: Vermutungen. Und das macht Sie wahnsinnig. Sie können sich nur noch vorstellen, was Ihre Kinder gerade treiben, die Gedanken überschlagen sich. Es sind keine netten Gedanken.«
    »Was haben Sie denn vermutet?«
    »Dass Corinne ihre ersten Erfahrungen macht.«
    »Und? Haben Sie mit ihr darüber geredet?« Heides Tümpelaugen funkelten. »Das tun Mütter doch, oder?«
    »Sie hätte jederzeit zu mir kommen können.«
    »Wohl kaum.«
     
    DIE HAVEMANN HIELT RAUPACH eine riesige Gaspistole unter die Nase. Dann erkannte sie ihn und machte auf.
    »Man kann nicht vorsichtig genug sein«, murrte sie und ließ die Waffe unter ihrem Tücherberg verschwinden. »Hab immer wieder Ärger mit irgendwelchen Spinnern. Und seit’s den Tütentünn erwischt hat …«
    »Wir brauchen ein Schachspiel«, sagte Raupach.
    »Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?«
    Photini erklärte der Frau, weshalb sie hergekommen waren. Das nahm einige Zeit in Anspruch. Die Havemann blieb skeptisch.
    Raupach ging mit Nicolas schon mal nach hinten. Der Junge durfte sich ein Schachspiel aussuchen. Er entschied sich für ein besonders großes, Industrieware aus

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