Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das geheime Kind

Das geheime Kind

Titel: Das geheime Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
Vom Netzwerk:
eindringlich weiter. »Ich will nicht, aber du zwingst mich, hältst mich fest. Ich stoß dich zurück. Du haust mir eine runter, presst mir die Hand auf den Mund.«
    Nicolas stellte es sich vor.
    Er wich zurück.
    »Und da fängt Missbrauch an. Das ist der erste Schritt.«
    Er zitterte.
    »Wohin das führen kann, überlasse ich deiner Phantasie.« Sie senkte die Stimme wieder, sah, wie er den Gedanken weiterspann, wohin auch immer. »Ich will dir keine Angst einjagen. Aber wir spielen das jetzt bis zum Ende durch. Sex unter Zwang ist eine Straftat. Was meinst du, kommt danach?«
    Das Wort »spielen« ließ ihn aufatmen. »Du verhaftest mich?«
    »Nehmen wir an, ich wäre keine Polizistin. Was dann?«
    »Dann gehst du zur Polizei.«
    »Ja, das würde ich. Aber vielleicht willst du das verhindern. Indem du mir Prügel androhst, mich als Lügnerin hinstellst. Und ich trau mich nicht, dich zu verraten.« Sie wartete, bis er begriff. »Dann hätten wir kein süßes Geheimnis, sondern ein böses.«
    Nicolas überlegte. »Und niemand würde was merken?«
    »Niemand. Vorausgesetzt, das böse Geheimnis hält.« Sie legte ihr Schulterholster wieder an und zog das Lederjackett darüber. Ende der Show.
    Er trank den Rest seines Schokoshakes und leckte den Strohhalm ab, lehnte sich zurück. So lange redete er nie mit Fremden, das waren mindestens fünf Minuten am Stück gewesen. Normalerweise verlor er schon nach ein paar Sätzen die Geduld, musste aufstehen, herumlaufen, sich mit etwas anderem beschäftigen.
    Bei Photini war das anders. Die Hand, mit er sie berührt hatte, glühte wie eine Herdplatte. Er schwitzte in seinen Fleecepulli hinein, sein ganzer Körper befand sich in Aufruhr, überall pochte und pulsierte es, als hätte jemand einen Schalter umgelegt und verborgene Zusatzfunktionen aktiviert. Natürlich war es ungewohnt und komplett neu und beängstigend, aber seltsamerweise … blieb es in ihm drin. Falsches Wort, er … behielt es in sich drin. Er ließ nicht zu, dass es herausdrang und einfach verflog. Dafür war es zu kostbar.
    Auf Raupach wirkte der Junge so ruhig wie noch nie. Busengrapschen mit Photini, das war wie eine Übung auf dem Hochseilparcour. Trau dich, und alles ist in Butter. Wenn nicht, wirst du es ewig bereuen.
    Der Kommissar würde »fortgesetzte Befragung« in seinen Bericht schreiben. Lürrip hatte sicher keinen Sinn für Erlebnispädagogik.
    Er zog den Stoffeisbären aus der Plastiktüte. Fühlte sich wie ein Hütchenspieler nach der großen Raubkatzennummer.
    »Kennst du den?«
    »Ja, das ist Numi«, sagte Nicolas, froh, dass er helfen konnte. »Corinne hat ihn bei uns zu Hause gesucht, vor kurzem erst.«
    »Wann genau?«
    »Vor drei Tagen, vormittags, als ich in der Schule war. Aber sie hat ihn nicht gefunden. Das hat sie schrecklich traurig gemacht.«
    Photini setzte sich auf. »Woher weißt du das?«
    »Ich kam heim, da war sie gerade am Gehen. Ich wusste auch nicht, wo Numi steckte. Sie sah aus, als wär sie hingefallen oder irgendwo dagegengeknallt, wie früher, wenn sie im Schuppen gewesen war.«
    »In welchem Schuppen?«, fragte sie.
    »Im Schuppen unten bei den Gemüsebeeten. Im Hinterhof. Otto hat ihn zu einer richtigen Werkstatt umgebaut. Davor sah’s da aus wie Kraut und Rüben.«
    »Wer war vor drei Tagen sonst noch zu Hause?«
    Nach der Hitze kam die Kälte. Eisschauer. Nicolas wollte etwas sagen, doch es ging nicht.
    »Niemand«, murmelte er schließlich und griff nach Numi.
    Photinis Stimme bekam einen Stahlmantel, härter als Eis. »Soll ich das glauben?«
    Er beachtete sie nicht. Konzentrierte sich ganz auf das Stofftier. Ließ den Eisbär über den Tisch schleichen, geduckt, bereit zum Sprung. Tat so, als seien die beiden Polizisten nicht mehr da.
    Klares Nein.
     
    DER JUNGE MACHTE DICHT Raupach beriet sich flüsternd mit Photini. Ein erneuter Missbrauch? Das einschneidende Erlebnis, das Corinne endgültig von der Klippe gestopen hatte, als sie am verletzlichsten gewesen war? Nicolas kannte den Täter. Durfte nichts sagen. Hütete das böse Geheimnis.
    Hilgers kehrte ohne Erfolg von seiner Tour zurück. Kein Schachspiel nirgends. Stattdessen die neuesten Spielkonsolen in den Zimmern der Patienten und ein Monopoly für Besucher, bei dem die Hälfte der Teile fehlte.
    »Ich weiß, wo wir eins kriegen«, sagte Raupach. Vielleicht holten die Schachfiguren Nicolas in die Realität zurück. »Wir fahren zur Zweiten Hand.«
    Der Junge hatte nichts dagegen, kam widerspruchslos

Weitere Kostenlose Bücher