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Das geheime Kind

Das geheime Kind

Titel: Das geheime Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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mit, allein mit dem Eisbären und seinen Gedanken. Hilgers ließ ihn mit Photini vorausgehen.
    »Eigentlich wollte ich Sie wegen einer dienstlichen Angelegenheit sprechen«, wandte er sich an Raupach.
    »Worum geht’s?«
    »Ist ein bisschen diffizil. Könnte unangenehme Folgen haben im Kollegenkreis.«
    »Hat das noch Zeit? Wir sind dicht dran, Nicolas braucht einen letzten Anstoß.«
    »Wenn der will, redet er wie ein Buch«, meinte Hilgers.
    »Wenn er will. Aber da gibt es eine Sperre, wie in jeder Familie, so sind wir leider programmiert.« Raupach ging weiter. »Bleiben Sie hier. Wir sind bald wieder da.«
    Hilgers hob die Hand. »Lassen Sie den Jungen beim Schach nicht so einfach gewinnen. Er muss Widerstand spüren, dann wird er gesprächig.«
    »Hoffen wir’s.«
     
    SIE NAHMEN DIE ZOOBRÜCKE. Der Regen hatte etwas nachgelassen, begleitete den Wagen wie ein Schwarm Nachtfalter.
    Photini fuhr wie in Trance. Dachte an Corinne und den Schuppen der Bahlings, von dem sie bislang keine Ahnung gehabt hatte. Die perfekte Entsprechung zum Gartenhäuschen der Plavotics. Hier der Missbrauch, dort der Versuch, mit Milan darüber wegzukommen, zwanghaft, gnadenlos gegen sich selbst. Feuer mit Feuer bekämpfen. Das war gefährlich, schwer zu lenken, eine Gratwanderung für Corinnes ohnehin angeschlagene Psyche. Kein Wunder, dass sie immer weiter abgedriftet war. Und dann der Rückschlag vor drei Tagen, alles musste ihr umsonst vorgekommen sein, ihre Abnabelung, die Beziehung zu Milan, das Kind. Falls sie vergewaltigt worden war, hatte das Clausing nicht feststellen können wegen des gereizten Geburtskanals.
    Raupach saß mit Nicolas auf dem Rücksitz. Zwischen ihnen Numi, ebenfalls angegurtet. Warum hatte Wintrich das Stofftier weggegeben? Um Corinne ihrer emotionalen Stütze zu berauben? Oder um das Ding und mit ihm all den Kummer loszuwerden, um die alten Ersatzhandlungen, Fluchtmuster aufzubrechen? Der Eisbär war etwa so groß wie ein Neugeborenes. Die Viecher fraßen manchmal ihre eigenen Jungen, wenn der Hunger übermächtig wurde. Raupach schauderte.
    Nicolas blickte aus dem Fenster. Die Kälte war immer noch da, doch langsam regte sich wieder etwas. Eine Erkenntnis. Warum er so war, wie er war. Was ihn dazu gemacht hatte. Dass er sich während all der Jahre in Abwehr und Wut gehüllt hatte, als würde ihn das wärmen. In sein Biwak, um an der Kante zum Abgrund nicht zu erfrieren. Aber das brachte nichts. Er hockte immer noch da, an der Kante, und fragte sich, wie es weiterging. Aufstieg oder Umkehr? Erst war Otto abgestürzt, dann Corinne. Die Chancen standen schlecht.
    Blieb noch das Schachspiel, mit dem er sich die Zeit vertrieben hatte. Raupach wollte gegen ihn antreten. Er war schon gespannt darauf.
    Zuvor gab es einiges zu klären. In der Wirklichkeit.
    Er bat Photini abzubiegen.
    Sie tat es ohne zu fragen. Folgte seinen Angaben. Schaute nur kurz in den Rückspiegel, um Raupachs Nicken aufzufangen.
    Lange geradeaus, dann rechts.
    Tolle Frau. Ein klitzekleines bisschen auch seine Frau. Freundin. Kumpel. Das mit dem Sex hob er sich für seine eigene Altersklasse auf, die Mädels waren da unkomplizierter. Er musste sich nur ein wenig Mühe geben und nicht gleich losschreien, wenn sie ihn komisch anschauten. Komisch konnte auch heißen: Sprich mich ruhig an. Und später: Fass mich ruhig an. Er musste lernen, mit dem Unerwarteten zu rechnen.
    Nochmal abbiegen, die Bebauung hörte auf. Das abgebrannte Haus kam in Sicht, ehemals »Stilmoden«.
    Anhalten.
    »Das war ich«, sagte Nicolas und legte los. Er habe das Haus abgefackelt, mit Benzin. Um eines von Ottos Spielen zu Ende zu bringen. Mit Schaufensterpuppen nachstellen, was bei ihnen zu Hause passiert war. Otto hatte sich erst ein Bild von seiner neuen Familie machen müssen, und er, Nicolas, habe ihm dabei geholfen. Nach Ottos Tod konnte er das Ganze endlich anzünden, das sei von Anfang an so gedacht gewesen. Ob er für Brandstiftung ins Gefängnis komme?
    Raupach verneinte. Das sei unwahrscheinlich, falls er nicht noch mehr verbrochen hatte.
    Da war mehr. Zwei Straßen weiter, vor einem aufgegebenen Teppichladen.
    Photini brauchte nur eine knappe Minute, obwohl sie verhalten fuhr. »Hier?«
    Ein Kerl mit Armeeklamotten. Den habe er nach dem Brand vermöbelt. Einfach, weil der ihm über den Weg gelaufen sei. Um es mal auszuprobieren.
    »Du hast ja einiges auf dem Kerbholz.« Der Kommissar klang beunruhigt.
    »Dafür buchten Sie mich jetzt aber ein,

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