Das geheime Kind
Sackgasse.«
»Woran starb er denn?«
»Äußerliche Gewalt«, wich Raupach aus. »Die Obduktion ist noch nicht abgeschlossen.«
»Hat er was auf die Nase gekriegt?«, fragte Kotissek. »Oder aufs Maul? Da schlagen die immer als Erstes hin.«
»Nein.«
»Was dann? Messer, Baseballschläger?«
»Vielleicht etwas anderes. Was gerade zur Hand war.«
»Sie kennen die Tatwaffe doch ganz genau. Und jetzt wollen Sie mich aufs Glatteis führen.« Kotissek runzelte die Stirn. »Ich trinke, und zwar nicht zu knapp. Es wär mir trotzdem lieber, wenn Sie nicht denken würden, ich sei blöd.«
»Vorhin haben Sie sich dumm gestellt.«
»Vorhin war ich sauer, weil Gerd mich hinters Licht geführt hat und dann plötzlich Sie auf der Matte standen.«
»Können Sie das verschmerzen?«
»Ich bin nicht nachtragend.« Kotissek stieß auf.
»Schön.«
»Otto war einer von den Guten. Finden Sie raus, wer ihn auf dem Gewissen hat.«
»Natürlich.«
»Ist es Ihnen ernst? Oder ermitteln Sie nur der Form halber und legen den Fall nach zwei Wochen zu den Akten?«
Hinter ihnen hupte es, obwohl der Gegenverkehr nicht abriss und es keine Gelegenheit zum Überholen gab.
»Die Presse schert sich bestimmt einen Dreck um Otto«, fuhr Kotissek fort. »Pennermorde bringen keine Auflage.«
Raupach schaute ihn lange an. »Sie wissen rein gar nichts von mir.«
»Doch, von dieser U-Bahn-Geschichte, die durch alle Zeitungen ging. Müsste jetzt ein Jahr her sein. Das war eine große Sache, Herr Kommissar. An der haben Sie sich gesundgestoßen.«
»Rehabilitiert.«
»Ist mir egal, wie Sie’s nennen. Sie sind ein hohes Tier, und sowas wird man nur mit viel Ehrgeiz und einem engen Terminkalender. Kommt mir ziemlich merkwürdig vor, dass ich hier bei Ihnen im Auto sitze. Was versprechen Sie sich von dem Fall?«
»Find ich gut, dass Sie kein Blatt vor den Mund nehmen.«
»Versuchen Sie’s jetzt auf die soziale Tour?« Kotissek lachte. »Öfter mal was Neues.«
Jetzt war die Fahrbahn frei zum Überholen. Doch Raupach blieb hinter dem Sattelschlepper stehen und setzte den rechten Blinker.
»Haben Sie ein Hobby?«, fragte er.
»Kann ich mir nicht leisten.«
»Ich male gern.«
»Ach?«
»Leider komm ich selten dazu. Und wenn doch, fällt mir als Erstes immer nur diese Wand im Leichenschauhaus ein. Die mit den vielen Kühlfächern. Lauter Kästen, Zehnerreihen. Ich nehm Sie mal mit. Wir schauen uns die Toten der Reihe nach an. Sie entscheiden, wer zu den Guten oder den Bösen gehört.«
»Haha.«
»Und dann sagen Sie mir, gegen wen ich ermitteln soll.«
»Na, gegen Ottos Mörder!«
»Ist der auch ganz sicher einer von den Bösen?«, fragte Raupach. »Und das Opfer, ist das automatisch ein Unschuldslamm?«
»Ich hab Ihnen doch schon gesagt –«
»Dass Sie nur seinen Vornamen kennen. Alles Weitere wissen Sie von ihm selbst, der Rest sind Vermutungen. Vielleicht war Otto genauso wandlungsfähig wie Sie, wechselte die Rollen nach Bedarf, zeigte seiner Umgebung verschiedene Gesichter?«
»So überlebt man auf der Straße.« Kotissek zauberte eine kleine Flasche Weinbrand aus den Falten seines Trainingsanzugs und nahm einen kräftigen Schluck. »Also?«, fragte er und wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab. »Wir waren bei der Tatwaffe.«
Raupach sah in den Rückspiegel und fuhr endlich an dem Sattelschlepper vorbei. »Ein Spaten. Der Mörder hat ihn wie ein Beil benutzt, als Hiebwaffe. Er schlug mehrmals zu.«
»Scheiße.« Der Rest des Weinbrands rauschte durch Kotisseks Kehle.
»Und äußerst brutal.«
»Da gehört eine Menge Wut dazu. Mit Ihren Schlägern liegen Sie vielleicht doch richtig.«
»Alkohol verstärkt die Wut«, sagte Raupach. »Jedes Fläschchen macht ein wenig enthemmter, streitlustiger. Auch wenn man das Zeug gewohnt ist.«
Kotissek lachte rauh. »Wollen Sie mir an den Kragen?«
»Sie haben kein Alibi, oder?«
»Nö.«
»Am Tatort wurde eine Flasche Wodka gefunden. Dem sind Sie ja nicht abgeneigt.«
»Bei Ihren Retourkutschen muss man aufpassen. Es dauert ein bisschen, aber dann erwischen sie einen von hinten durchs Auge.«
»Dann geben Sie mal lieber acht.«
Sie fuhren zum Baudriplatz, zur »Zweiten Hand«, einem Trödelladen. Kotissek meinte, dort sei mehr über Otto zu erfahren. Die Besitzerin würde jeden im Viertel kennen, zumindest aus den unteren Einkommensklassen.
Raupach kannte den Laden nur vom Spazierengehen. Auch er unternahm gelegentlich Wanderungen durch Nippes. Dabei gab er sich der
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