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Das geheime Kind

Das geheime Kind

Titel: Das geheime Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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wollen also etwas über Otto wissen, sagt der Tütentünn. Otto Wintrich.«
    »Ist das sein Name?«, fragte Raupach.
    Sie schlug das Heft auf und blätterte darin, bis sie die entsprechende Seite gefunden hatte. Schließlich reichte sie es dem Kommissar. »Eine Adresse in Weidenpesch. Hier, abschreiben können Sie das selber.«
    Raupach merkte sich die Daten. »Wie kommen Sie zu seiner Anschrift?«
    »Ich weiß gern, wer bei mir ein und aus geht. Ich mache in An- und Verkauf, da sollte man sich vergewissern, wer einem was bringt.«
    »Ist viel Diebesgut dabei?«
    »Ich bin keine Hehlerin«, entgegnete sie. »Das hier ist eher eine Art Leihhaus, zumindest teilweise. Manche Leute haben die Hoffnung, die Sachen, die sie mir geben, irgendwann wieder auszulösen. Solange hebe ich sie auf.«
    »Und Otto Wintrich?«
    »Kam meistens, um etwas zu verkaufen.«
    »Was wollte er denn zu Geld machen?«
    »In der ›Zweiten Hand‹ spielt Vertrauen eine große Rolle. Geld ist in meinem Geschäft nicht so wichtig.«
    Er lächelte über den Widerspruch. »Bezahlt sich die Miete von allein?«
    »Lassen Sie das meine Sorge sein.« Die Havemann erhob sich und ging zu einem Regal mit alten Souvenirs, Aschenbecher, Mini-Dome, eine Kamellentasche mit dem Wappen des Festkomitees Kölner Karneval. »Schauen Sie sich um. Das kommt Ihnen sicher wie wertloser Plunder vor. Aber in jedem dieser Dinge steckt ein kleines Leben.«
    Sie spazierte weiter und wies dabei auf den einen oder anderen Gegenstand, nicht ohne Stolz, wie ein Museumsführer, der seine Exponate gebührend bewundert sehen will.
    Raupach folgte ihr und warf einen Blick auf die Kleiderständer. Einen gebrauchten Anzug hatte er noch gar nicht in Betracht gezogen. Das wäre doch was. Wenn der Vorbesitzer eine ähnliche Figur wie er hatte, brauchte er die Klamotten nicht mal einzutragen.
    Die »Zweite Hand« war größer, als er angenommen hatte. Der Raum erstreckte sich mindestens über die gesamte Länge des Hauses. Allerdings schien er nach hinten immer schmaler zu werden, als rückten die Wände unmerklich näher. Aber das mochte auch an dem kunterbunten Mobiliar liegen. Es war so aufgestellt, dass man sich nur im Zickzackkurs durch den Laden bewegen konnte. Schränke mit offenstehenden Türen, Kommoden mit stufenweise herausgezogenen Schubladen, Küchenbuffets, für die vorne im Eingangsbereich kein Platz war. Überall quoll etwas heraus, was vielleicht noch zu gebrauchen war oder woran sich erneut Gefallen finden ließ.
    Die Geräusche, die Kotissek beim Essen machte, wurden leiser. Die alte Frau machte allerlei Bemerkungen zu den Elektrogeräten, an denen sie gerade vorbeikamen, Ghettoblaster, Plattenspieler, Kassettendecks, unförmige Musikboxen.
    Jetzt verstand er, was die Havemann vorhin gemeint hatte. In diesem Audioschrott steckten tatsächlich ganze Lebensabschnitte. Als Jugendlicher hatte er sich seine Stereoanlage Stück für Stück zusammengejobbt. Allein das Aussuchen des Verstärkers hatte Monate in Anspruch genommen. Dual, Uher, Marantz – die alten Markennamen setzten Erinnerungen in Gang.
    Mit seinem Freund Felix hatte er tagelang über die Vorzüge von Riemen- oder Direktantrieb fachsimpeln können. Raupach fand sich im Zwielicht der verflossenen Jahre immer besser zurecht. Je größer der Abstand wurde, desto leichter fiel es ihm, die Vergangenheit im Geiste abzuschreiten. Jede Entdeckung wärmte ihn ein bisschen, rief bestimmte Gefühle hervor und Bilder, die sich im Kopf zu bewegen begannen.
    Der Raum machte einen Knick, schlagartig wurde es übersichtlicher. Sie kamen in die Abteilung Sport und Spiel. Skier, Rollschuhe, ein Hometrainer, alles auf dem technischen Stand früherer Zeiten.
    Bei einem Stapel kleiner Holzkisten blieb Raupach stehen. In letzter Zeit ging er häufig zu einem kleinen Platz am Bürgerzentrum. Dort wurde Boule gespielt, mit schweren Metallkugeln, abends sogar unter Flutlicht. Raupach setzte sich dann auf eine Bank und hörte dem Klack-Klack zu. Dabei begegnete er ausnahmsweise Leuten, die keine Polizisten, Zeugen oder Mörder waren. Seit der Trennung von Clarissa vor knapp vier Jahren beschränkten sich seine sozialen Kontakte auf ein Minimum. In einem schwachen Moment, es war erst ein paar Monate her, hatte er sogar erwogen, mit Photini eine Affäre anzufangen. Das Wort »Affäre« sagte alles über seinen Zustand. Er hatte ein wenig den Anschluss verloren. So gesehen war Boule ein Schritt in die Normalität.
    Er öffnete die oberste

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