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Das geheime Kind

Das geheime Kind

Titel: Das geheime Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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Illusion heimatlicher Gefühle hin, obwohl er wenig von derlei Selbstvergewisserungsritualen hielt. Er fand, die Leute machten sich nur etwas vor, wenn sie dem Ort, an den eine Handvoll Lebensumstände sie hingestellt hatte, übermäßige Bedeutung beimaßen. Menschen verhielten sich zu Orten wie Algen zu Wasser. Ein paar Stufen Evolution änderten nichts daran. Man trieb in der Brandung so dahin, ohne die Richtung groß beeinflussen zu können.
    Sie passierten die U-Bahn-Station Florastraße. In der Zwischenebene hatte die Güsgen, eine alte Kölnerin, ihren Kiosk gehabt. Sie war im Sommer gestorben. War vor dem laufenden Fernseher eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. Ein schöner Tod, hieß es im Viertel. Leider wusste niemand, welche Sendung die Güsgen zuletzt gesehen hatte.
    Und vor Ottos Tod? Was hatte er wohl gesehen?
    Heide meldete sich über Handy. »Wir sind nahe dran.«
    »Ich auch.« Raupach fuhr rechts ran und stieg aus, damit Kotissek nicht mithören konnte. »Schieß los.«
    »Milan Plavotic, der Neffe der beiden Laubenbesitzer. Taxifahrer. Der Junge wirkt verdächtig. Gestresst, aggressiv, übernächtigt, Stimmungsschwankungen – der ist nicht koscher.«
    »Gibt’s ein Motiv?«
    »Abwarten.«
    »Hast du im Nebenberuf bei der CIA angeheuert, Heide, oder verlassen wir uns jetzt auf den ersten Eindruck?«
    »Sein Drogentest war positiv. Nur schwach, aber es reicht. Cannabis.«
    »Suchen wir nicht nach Shitrauchern?«
    »Macht das einen Unterschied?«, fragte Heide.
    »Sich gelegentlich einen Joint reinzuziehen, heißt nicht, für das Zeug über Leichen zu gehen, selbst im Affekt.«
    »Du hast Plavotic nicht erlebt. Wenn ich in der vergangenen Nacht Mist gebaut hätte, wäre ich so ähnlich drauf.«
    »Es gibt solchen und solchen Mist«, meinte Raupach. »Hast du ihn festgenommen?«
    »Womit denn? Ich muss seine Aussage noch überprüfen, und auf dem Haschischbeutelchen sind laut Labor keine Fingerabdrücke. Reintgen und Hilgers beschatten ihn. Lassen wir den Jungen ein paar Haken schlagen.«
    »Hat das Drogendezernat was über ihn?«
    »Nein, sonst hätte ich dir’s schon gesagt. Die geben kaum was raus, wie die Elstern.«
    »Das Mordopfer heißt übrigens Otto. Vielleicht weiß ich bald mehr.«
    »Streng dich an«, sagte sie. »Wenn wir nicht trödeln, können wir das ruckzuck hinkriegen.«
    »Bleib du mal hübsch im Präsidium.« Heides letzter Alleingang bei einem Fall in Marienburg hatte mit einem Schädel-Hirn-Trauma geendet. Seither schob sie auf Raupachs Anordnung Innendienst.
    »Mit dem größten Vergnügen«, gab sie zurück. »Mit ›wir‹ meine ich natürlich dich, Kölns furchterregende Ein-Mann-Armee.«
    »Klingt nach einer Sonderschicht.«
    »Das lass ich auf deinen Grabstein meißeln. Wenn sie mir endlich das Geld für meine Überstunden auszahlen.«
    Raupach brummte etwas Unverständliches. »Neues von unseren Klingelputzern?«
    »Fehlanzeige.«
    »Kommt selten vor«, wunderte er sich.
    »Vielleicht haben die Leute am Nordpark was gegen Bullen.«
    »Wahrscheinlich nicht nur gegen Bullen.«
    Heide pflichtete ihm bei und beklagte sich ein wenig. »Was soll ich mit Photini machen? Wenn sie hier weiter untätig herumtigert, braucht einer von uns beiden bald einen Psychologen.«
    »Am besten, ihr legt euch zusammen auf die Couch.«
    »Das ist kein Witz, Klemens.«
    »Schick sie her.« Raupach gab die Adresse durch und beendete das Gespräch. Er stieg wieder ein und fuhr das letzte Stück zur »Zweiten Hand«.
    Kotissek schnarchte und war durch nichts in der Welt wach zu kriegen. Ein Speichelfaden hing ihm aus dem Mundwinkel.
     
    EIN ALTERTÜMLICHER KLINGELTON ertönte beim Betreten des Ladens. Ein Kindheitsgeräusch, es sorgte dafür, dass man sich gleich willkommen fühlte. »Inhaberin: Apollonia Havemann«, stand auf einem Schild neben der Fünfziger-Jahre-Glastür.
    Regale mit Keramik, Glas, Porzellan, Zinngeschirr. Billigware, reif für den Sperrmüll, dazwischen jedoch immer wieder ein hübsches, ausgefallenes Stück. Kobaltblaue Zierteller, Kaffeekannen mit dem Aufdruck einer Rheinansicht, vielleicht kostbar, vielleicht nur Nostalgie. Keine Kunden.
    Im hinteren Bereich des schlauchförmigen Ladens verströmten Kleiderständer Mottenkugelgeruch. Raupach musste an Hotelzimmer denken, in denen die Zeit stillstand, an Niemandslande mit trüben Spiegeln, die einen – wenn man nicht aufpasste – verschluckten.
    »Wen suchen Sie denn?«
    Von der Frau, die hinter der Registrierkasse

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