Das geheime Kind
und wenn ich schlafe, dann träum ich auch, die verrücktesten Sachen, und wenn dann jemand laut durch die Gegend palavert, krieg ich alles durcheinander, das vermischt sich zu so einem Brei.«
»Versuchen Sie sich zu erinnern.«
»Eine Frau könnte auch dabei gewesen sein.«
»Wie alt?«, fragte Raupach.
»Bin ich Hellseher?«
»Was hat sie gesagt?«
»Nicht viel. Wenn ich an Frauen denke, reden die niemals viel.« Heiseres Lachen.
»Worum ging es denn?«
»Weiß nicht, das konnte ich nicht verstehen. Wollte mich auch nicht einmischen. Also hab ich mich umgedreht und weitergepennt.« Kotissek schloss die Augen. »Glaub ich zumindest.«
»Es ist wirklich wichtig, dass Sie Ihre Gedanken ordnen«, beharrte Raupach. »Sie sind ein wichtiger Zeuge.«
»Da haben Sie aber keinen guten Fang gemacht, ich rede doch nur Müll.«
»Wenn Sie wüssten, was wir sonst so zu hören kriegen.«
»Ich hab ’nen Kater.« Kotissek wies auf die Bierflaschen. »Das bisschen Kölsch hält mich gerade so aufrecht. Eigentlich bin ich immer noch total hinüber.«
»Auf mich wirken Sie relativ klar.« Raupach hatte kein Lallen oder so etwas bemerkt.
»Übung macht den Meister.«
Höttges hatte genug von Tünns Herumgeeier. Seine Ausflüchte dienten nur dazu, dass er sich nicht festlegen musste. Tünn wusste etwas, er rückte nur nicht damit heraus, aus Angst, aus Vorsicht, warum auch immer. »Hast du eine der Stimmen erkannt?«
»Erkannt?«
Es klang ein wenig wacher. Höttges legte nach: »Tu nicht so, als wärst du schwer von Begriff.«
»Meine Freunde sind meine Freunde.« Kotissek zog den Reißverschluss seines Trainingsanzugs bis unters Kinn hoch. »Die gehen niemanden was an.«
»Welche Freunde meinen Sie?«, fragte Raupach.
Kotissek drehte sich weg. »Warum unterhalte ich mich überhaupt mit euch Bullen?«
Jetzt war es an der Zeit, das Foto der Leiche ins Spiel zu bringen. Kotissek war ein schwieriger Kandidat, da kam es auf die Dramaturgie an.
»Die Stimme dieses Mannes müsste zu hören gewesen sein.« Raupach wies auf das Bild. »Mit Ihrer Hilfe fassen wir seinen Mörder.«
Kotissek riss dem Kommissar das Foto aus der Hand und betrachtete es. Er ließ es fallen, als hätte er sich daran verbrannt. »Otto?«
HÖTTGES SASS in einem Taxi und dämmerte dem Feierabend entgegen. Er würde sich vom »China-Fan-Imbiss« um die Ecke eine große Portion gebratene Nudeln mit Rindfleisch holen, dazu einen Becher Tee. Zu Hause wartete Topkapi auf ihn, er liebte diesen Film, vor allem den verschwitzten, immer in Auflösung begriffenen Peter Ustinov. Das Goldene Horn wäre ein guter Kontrast zu den Niehler Schrebergärten. Mit einem Berg Nudeln im Bauch würde er nach fünf Minuten wegdämmern und vergessen, dass er den Tünn ausgetrickst und sich dessen Vertrauen erschlichen hatte.
Raupach kutschierte Kotissek währenddessen nach Nippes. Der Kommissar besaß eine Aversion gegen das Autofahren. Stop-and-go, Ampelphasen für die Ewigkeit, hektisches Gehupe, wenn man bei Grün nicht sofort losfuhr. Der Wagen, den er aus dem Fuhrpark gepflückt hatte, besaß sieben Gänge. Wozu um alles in der Welt sollte das gut sein?
Kotissek kannte von dem Opfer nur den Vornamen: Otto. Er sei kein richtiger Berber gewesen. Habe endlose Spaziergänge unternommen, um der Familie seiner Freundin nicht zur Last zu fallen. Wo er wohnte, habe er nicht verraten. Alle paar Tage sei er im Nordpark aufgetaucht und habe Löcher in die Luft gestarrt, so ähnlich wie Höttges heute, aber ohne dessen innere Ruhe. Man spürte ja, ob jemand die freie Zeit genoss oder davon erdrückt wurde.
Ein freundlicher Mann, ohne Arbeit, trotzdem freigebig. Stellte andauernd Fragen, genauso wie die Bullen. Konnte nicht genug kriegen vom Leben anderer Leute. Wusste manchmal ganz genau, was man dachte oder gerade sagen wollte, beängstigend. Ansonsten sei Otto ein prima Kumpel gewesen. Der hatte keine Feinde. Wer brachte so jemanden um?
»Für Gewalt braucht es oft keinen Grund.« Raupach bog auf die Neusser Straße ein und war gezwungen, hinter einem Sattelschlepper zu halten, der gerade ausgeladen wurde. »Manche Leute fühlen sich schon von Blicken provoziert. Wenn man sich nicht wehrt, oder nur halbherzig, rasten sie vollständig aus.«
»Reden Sie von Schlägertypen, die sich irgendein Opfer suchen, um Dampf abzulassen?«
»Die könnten Otto gejagt haben. Sie verfolgten ihn, er wollte sich in den Schrebergärten verstecken, aber das war eine
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