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Das geheime Kind

Das geheime Kind

Titel: Das geheime Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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wurde mir dabei, und ich bin nicht von Pappe, das können Sie mir glauben. Ich war froh, dass im Laden viel Betrieb herrschte. Wir gingen kurz nach hinten und machten den Tausch gegen das Schachspiel perfekt. Dann hab ich mich doch getraut zu fragen, was los war.«
    »Und?«
    Sie zögerte. »Er hat mich angeschrien. Für manche Krankheiten gibt es eben kein Heilmittel. Pillen sind keine Lösung, auch wenn sich das mancher so vorstellt.«
    Ein bedauernder Blick, gemischt mit Unmut, weil sie so viel erzählt hatte.
    »Ich hab das dann auf sich beruhen lassen, mehr oder weniger, jedenfalls konnte ich nichts aus ihm rauskriegen. Und deshalb denke ich, dass Sie und Ihre Kollegin erst recht im Dunkeln tappen, jetzt, wo Otto tot ist.«
    Raupach wartete, ob noch etwas kam, doch die Havemann schwieg und starrte verdrossen auf ihre Regale. Die kleinen Leben, die darin aufgereiht waren, stellten auch eine Last dar.
    Er bedankte sich, sie gingen zum Ladeneingang zurück. Wie konnte er das Gespräch zu einem versöhnlichen Ende bringen? Vielleicht musste er die alte Frau noch einmal befragen. Dann wäre etwas mehr Vertrauen gut.
    »Welches Sternzeichen hatte Otto Wintrich?«, probierte er es.
    »Fische.«
    »Und wie interpretieren Sie das?«
    »Fische fühlen sich nicht wohl in unbekannten Gewässern. Es ist ihnen unangenehm, wenn sich ihre Umgebung verändert, etwas, worauf sie keinen Einfluss haben. Dann werden sie wütend.«
    »Heißt es nicht, kalt wie ein Fisch?«, fragte Photini.
    Die Havemann funkelte sie an.
    »Lass gut sein, Fofó.« Raupach hob die Hand. »Wir müssen weiter.«
    Der Laden war immer noch leer, die Registrierkasse unbewacht. Kotissek lag quer in dem Bullenstuhl. Er war wieder eingeschlafen.
     
    ES KLINGELTE AN DER TÜR . Nicolas sah von seinem Schachspiel auf. Das musste Otto sein.
    Mama kam aus der Küche. Sie bereitete das Abendessen vor. Gleich musste sie auf die Arbeit, sie hatte heute Spätschicht. Er und Thorben – und Otto, falls er da war – brauchten nur einen fertig angerichteten Teller in die Mikrowelle zu schieben, wenn sie hungrig waren. Gemeinsam an einem Tisch aßen sie so gut wie nie, das war lange vorbei.
    Nicolas fragte sich, in welchem Zustand Otto wohl sein würde. Wenn sein Kollege über Nacht wegblieb, sah er danach immer total kaputt aus.
    Manchmal schimpfte Mama nicht. Dann brachte sie Otto ins Badezimmer und stellte ihn unter die Dusche, damit er wieder nüchtern wurde. Sie kümmerte sich um ihn wie um ein Baby und sprach auch so mit ihm. Es kam vor, dass Otto weinte, aber das war normal, jeder musste mal weinen, auch Nicolas, zum Beispiel, wenn er an früher dachte, als Papa und Corinne noch bei ihnen gewohnt hatten und ihre Familie komplett gewesen war. Er hasste es, wenn etwas fehlte. Werkzeug aus dem Schuppen, ein Stift im Federmäppchen, sein Vater, wenn er versprochen hatte, ihn zum Fußball abzuholen, und in letzter Sekunde absagte. Dann konnte er aus der Haut fahren.
    Mama öffnete die Tür. Nicolas hörte eine Männerstimme, die er nicht kannte. Das gefiel ihm nicht.
    Die Erwachsenen unterhielten sich. Eine Minute, zwei. Es schien wichtig zu sein, wie aus Mamas Tonfall zu schließen war. Bei einer Geburt, zu der sie gerufen wurde, klang es ähnlich, nur dass Mama in solchen Fällen die Fragen stellte und am Telefon auf Antworten wartete. Jetzt war es umgekehrt.
    Dann betraten fremde Leute die Wohnung.
    Gar nicht gut. Er war unschlüssig, was er tun sollte. Aufspringen, in sein Zimmer rennen und die Tür hinter sich absperren?
    Ein Mann in einem dunkelblauen Anzug erspähte von weitem, wie Nicolas am Wohnzimmertisch saß.
    Er sah schnell weg. Für eine Flucht war es zu spät, dafür hätte er den Gang überqueren müssen – wo sich gerade die fremden Leute befanden. Der Rückzug war ihm abgeschnitten.
    Hoffentlich ließen sie ihn in Ruhe. Er dachte ganz fest daran. Manchmal klappte das. Mama würde die Leute im Gang hinhalten, sie wusste, wie sehr es ihm widerstrebte, mit Fremden im selben Raum zu sein. Deshalb brachte Thorben auch nie Freunde mit nach Hause. Thorben versuchte, Schwierigkeiten von seinem kleinen Bruder fernzuhalten. Er war sein Beschützer und sagte ihm, was er im Zweifelsfall tun oder lieber lassen sollte.
    Aber Nicolas war auch neugierig. Was wollten die hier? Eine junge Frau war auch dabei, wie Nicolas aus den Augenwinkeln sah. Er fragte sich, ob er ordentlich angezogen war. Sein tannengrüner Fleecepulli, den er so mochte, war fleckig und

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