Das geheime Kind
frei. Du musst lernen, mein Privatleben zu respektieren.«
»Hey, ich bin dein Partner.«
»Hast du nicht gesagt, du seist der Falsche?«
Raupach schwieg, sortierte seine Worte. Es kam nichts Sinnvolles dabei heraus. Also legte er einfach los. »Ich brauche dich, okay?«
»Wirklich?« Photini wollte mehr hören. »Wie sehr?«
»Der Altersunterschied, und dass ich dein Vorgesetzter bin – das macht es schwierig.«
Photini hatte genug von seinen ewigen Vorbehalten. »Das sind doch Konventionen aus der Mottenkiste.«
»Erwarte nicht zu viel von mir, das ist alles.«
»Nicht denken, handeln.« Sie streichelte Patricks behaarte Schenkel, blond, fest. »Stammt das nicht von dir?«
»Gut, ich mach dir einen Vorschlag. Wenn wir diesen Fall abgeschlossen haben, reden wir, in aller Ausführlichkeit. Über alles, was dir auf dem Herzen liegt. Keine Tabus.«
»Und was ist, wenn das niemals eintritt? Wenn wir den Mörder nicht finden?«
»Das Risiko musst du eingehen.« Er lachte, wollte es wie einen Scherz klingen lassen.
»Einverstanden.« Sie setzte sich auf, mehr wegen ihres Berufs als wegen Raupach, wie sie sich einredete. »Ich springe kurz unter die Dusche und ziehe noch mal los.«
»Nimm deine Waffe mit. Reintgen und Hilgers sollen bei der geringsten Unstimmigkeit einschreiten. Vereinbare mit den beiden ein Zeichen für den Notfall.«
»Ich schaff das schon.«
»Dann kannst du mich auch deiner Katze vorstellen«, meinte er.
»Die ist selten da.«
VOR DEM MIETSHAUS IN MÜLHEIM blieb er noch eine Weile im Wagen sitzen. Wozu hatte er sich da wieder hinreißen lassen? Eine große Aussprache mit Fofó – lieber ging er zu einem Gerichtstermin, bei dem er als einziger Zeuge vorgeladen war. Wohin sollte das führen?
Je mehr ein Fall Photini in Anspruch nahm, desto wichtiger wurden ihr Beziehungsfragen. Als erinnerte sie ein Mord daran, wie schnell das Leben zu Ende gehen konnte und was davor noch unbedingt zu erledigen war. Manche Leute machten dann ihr Testament, andere verspürten vehementen Redebedarf. Verbrechen, vor allem blutige, erzeugten starke Emotionen, bei Photini war das noch so. Ob dieser Patrick wohl ein guter Zuhörer war?
Raupach hatte in seiner Laufbahn genug Leichen gesehen. Bei aller Betroffenheit, die ihn hin und wieder angesichts der Opfer ergriff, hütete er sich davor, die Toten Einfluss auf sein ruhig und erschütterungsfrei vor sich hin plätscherndes Singledasein nehmen zu lassen. Gelegentlich passierten ihm Ausrutscher wie mit Sharon Springman, einer Journalistin, die zur Aufklärung seines letzten großen Falls beigetragen hatte und eines Nachts in seinem Bett gelandet war. Gut fürs Ego, aber folgenlos, Sharon war wieder in New York, hatte sich noch ein paarmal per E-Mail gemeldet, und das war’s. Keine Verpflichtungen.
Schade, eigentlich. Solche Erschütterungen hatten auch etwas Gutes.
Das Haus in der Dünnwalder Straße besaß vier Stockwerke. Eine gräuliche Schachtel, eingeklemmt zwischen Kästen, die sich nur im Verschmutzungsgrad unterschieden, so weit das im Laternenlicht zu erkennen war. Raupachs erste Wohnung in Köln-Porz hatte ähnlich reizvoll gelegen.
Er stieg aus. In dieser Stadt stieß man dauernd auf ausrangierte Erinnerungen. Köln, der sympathischste Schrottplatz Deutschlands.
Drei Teenager mit Baggy Trousers und weißen Basecaps hingen am Eingang herum.
»Guck nicht so dämlich, Alter!«
Raupach schob einen der Jungs mit ausgestrecktem Arm beiseite. »Wohnt hier Corinne Bahling?« Er schaute auf die Klingelschilder, fand den Knopf. Keine Sprechanlage. Dabei wandte er dem Jungen absichtlich den Rücken seines dunkelblauen Anzugs zu.
»Schon mal was von Respekt gehört?« Der Teenager baute sich hinter ihm auf.
»Kennst du sie?« Raupach sah nicht zur Seite, drehte sich nicht um, betrachtete bloß die Tür. Das Drahtglas hatte einen Haufen Sprünge. »Irgendjemand von euch?«
»Corinne?«
»Soll ich’s an die Wand malen, damit der Groschen fällt?«
»Hier in der Straße wohnen viele Leute.« Der Junge lachte.
»Dann lasst mich meine Arbeit machen.« Raupach klingelte. »Aber geht nicht weg, wir sprechen uns später.«
»Bist du ein Bulle oder was?«
»Seh ich so aus?«
»Und wie!« Die drei wechselten Blicke und lächelten. Ein »Später« würde es nicht geben.
»Dann ist ja alles klar.« Der Kommissar ließ ein paar Sekunden verstreichen, bevor er die Klingel erneut drückte. Er fixierte immer noch die Tür.
»Warum schaust du mich
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