Das geheime Kind
»Mach dir selber ’ne Füllung.« Wutentbrannt stürmte sie aus dem Behandlungszimmer.
»Da hat jemand wohl einen schlechten Tag«, meinte die Zahnarzthelferin.
»Nur einen?« Baiat schaute Heide hinterher und wusste, dass er ihre Probleme nicht für alle Privatpatienten dieser Welt haben wollte.
Heide ging zu ihrem BMW und schaltete das Funkgerät ein. Hilgers gab ihr den Stand der Ermittlung durch, sie verlangte in regelmäßigen Abständen Bericht.
Wie erwartet nichts Neues. Also fuhr sie nach Hause, das lag nur ein paar Straßen weiter, der Zahnarzt hatte seine Praxis in Sülz. Heide stellte den Wagen ab und ging direkt in ihr Absackerlokal.
Ein Kölsch. Ein kleiner Tisch in der Nähe des Ausgangs. Die Geräuschkulisse des bunt gemischten Publikums im Hintergrund. Mehr brauchte sie nicht, um die Zeit zu füllen. Der Vortrag in Düsseldorf konnte warten. Zur Not hielt sie ihn aus dem Stegreif.
So wie Raupach und Photini sich derzeit belauerten, kam wenig dabei heraus. Die beiden machten sich das Leben schwer mit ihrem platonischen Geturtel. Da sollten sie eigentlich drüberstehen. Jedem seine Freiheiten zugestehen und fertig.
Oder sie ließen es einfach drauf ankommen. Im Delphi ein paar Ouzo mehr als üblich kippen und ab in die Kiste. Wie sich das beruflich auswirkte, würde sich zeigen, manchmal funktionierte es, wenn Kollegen ein Paar wurden. Die beiden waren mit Leib und Seele Polizisten, das passte doch.
Heide hatte ihr Feuer verloren. Der Innendienst kotzte sie ganz besonders an. Vielleicht sollte sie aussteigen? Mit ihrem toxikologischen Fachwissen konnte sie in der Fortbildung tätig werden. Gifte hatten derzeit wieder Hochkonjunktur. Sie waren chemisch leicht nachweisbar, doch schwer zurückzuverfolgen.
»Waffen hinterlassen jede Menge Spuren, nachdem sie abgefeuert wurden«, sagte sie zu ihrem Bierglas. »Man muss sie sofort nach der Tat entsorgen, um nicht damit in Verbindung gebracht zu werden, am besten im Rhein. Aber Gift bekommt man in jedem Baumarkt. Das Zeug lässt sich auch eigenhändig zusammenmischen, Rezepte stehen im Internet.«
Ein Gesprächspartner hatte sich zu Heide gesellt und ihre letzten Worte gehört. »Es gibt so viele Krankheiten, an denen die Leute krepieren«, meinte der Mann, Mitte dreißig, mit einem enganliegenden schwarzen T-Shirt. Seine Piercings reichten für einen ganzen Satz Kugellager. Allerdings hatte er eine passable Figur.
»Leberzirrhose?«, fragte Heide.
»Genau. Da fällt so ein bisschen Gift doch gar nicht auf. Ist nur schwierig, es dem Opfer unterzujubeln.«
»Suchst du Anschluss?«
»Red weiter. Ich hör gern zu. Wir quatschen mit uns selbst und schauen mal, ob das jemanden interessiert, so läuft das doch?«
»Ich könnte auch zu einer Spezialeinheit wechseln«, murmelte Heide. »Beim BKA brauchen sie immer Lebensmüde.«
»Bist du bei den Bullen?«
Sie ignorierte ihn. »Oder ich nehme meinen Abschied. Die Marke abgeben, der letzte Schnitt. Ernährungsberaterin werden, oder ein Heilberuf, irgendwas ganz anderes.«
»Große Sinnkrise?«, fragte der Piercing-Mann. Er hatte den Verdacht, dass Leute, die Therapeuten werden wollten, eine Behandlung selber am meisten nötig hatten.
»Nein.«
»Geldsorgen?«
»Auch nicht.« Geld war Heide gleichgültig. Sie war aus ihren beiden gescheiterten Ehen gut herausgekommen und hatte genug auf der hohen Kante. Sie gab wenig aus, es fehlte an der Gelegenheit.
»Was ist es dann?«
Sie würde einiges drum geben, jünger zu sein. Aber das konnte sie diesem Kerl nicht erzählen. Keine Experimente heute Nacht, kein Frustsex. Lieber die alten Gefühle herauskitzeln, dichter dran sein am Geschäft mit dem Tod. Das war es, wonach sie sich sehnte. Etwas in die Hand nehmen, vor dem die meisten Menschen zurückschreckten, es von allen Seiten betrachten. Unangenehme Schlüsse ziehen. Gewalt anwenden, wenn jemand ihr in die Quere kam.
Heide zahlte.
»Du gehst schon?«, fragte ihr Gesprächspartner.
»Willst du mich nach Hause begleiten?«
Er lachte, ein bisschen zu selbstgefällig. »Warum nicht?«
»Ich geh aber nicht nach Hause.«
»Wohin dann?«
»Zu einem Ort, an dem was Schlimmes passiert ist.«
Er machte Anstalten, ihr zu folgen. »Auf so was steh ich.«
Sie zog zärtlich an seinem Lippenring. »Nicht übermütig werden, ja? Trink lieber noch ein Kölsch.«
Der Mann fluchte und drehte sich weg. Heide machte eine Geste zum Wirt, damit er ein neues Bier auf ihre Rechnung brachte. Dann ging sie nach
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