Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das geheime Kind

Das geheime Kind

Titel: Das geheime Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
Vom Netzwerk:
draußen und nahm die nächste Bahn.
    Von wegen Innendienst. Scheiß auf Klemens.
     
    VIERTER STOCK UNTER DEM DACH. Die Tür stand einen Spalt offen, bei vorgelegter Kette. Wenig Licht in der Wohnung. Die Silhouette einer jungen, kräftigen Frau.
    »Ja?«
    Raupach entschuldigte sich für die späte Störung. Stellte sich vor, zeigte seine Marke. Verscheuchte das Geschwätz, mit dem er die Straßenkids unterhalten hatte, aus seinem Kopf.
    Stille. Er setzte hinzu, dass er von der Mordkommission sei und bereits mit Vera Bahling, Thorben und Nicolas gesprochen habe. Ein paar Fragen, dann sei er wieder weg.
    Corinne Bahling ließ ihn ein und machte die Tür hinter ihm schnell wieder zu.
    Ängstlich. Das waren sie oft.
    »Sie wissen, warum ich hier bin?«
    »Wegen Otto«, sagte sie leise und trat einen weiteren Schritt zurück. Wollte wohl nicht, dass er ihr zu nahe kam. An Polizisten haftete der Schmutz der Straße, der Geruch unzähliger Verbrechen.
    Was zu sehen war: Garderobe, Kleiderschrank, eine schmale Toilettentür, alles sehr beengt, ein Durchgang zum einzigen Zimmer der Wohnung.
    »Setzen wir uns?«
    »Drinnen.« Sie ging voran und nahm auf einem Stoffsofa Platz, das man zu einem Bett ausziehen konnte. Neben ihr lagen eine Flasche Mineralwasser, ein Laptop und eine zusammengefaltete Decke.
    Raupach blieb stehen. Ein abgewetzter alter Ledersessel. Kein Fernseher. Der Raum war überheizt, die trockene Luft reizte seine Kehle. Es roch nach Reinigungsmittel, in der Kochnische stand ein Eimer mit Putzmittel, offenbar hatte Corinne sauber gemacht. Über der Spüle hing ein offenes Regal, mit Töpfen, Tellern, Tassen, Gläsern und einem Gerät, das wie ein zu groß geratener Eierkocher wirkte.
    Für die erste eigene Bude eines neunzehnjährigen Mädchens sah es erbärmlich aus. Es gab zwei Tierposter an der Wand, sie zeigten Delphine im Sprung und einen grinsenden Schimpansen – nicht gerade altersgemäß. Mehrere Stapel Taschenbücher in Reichweite des Sofas besagten, dass Corinne eine eifrige Leserin war, Historienromane, wie aus den verschnörkelten Titelbildern hervorging, bevorzugt Mittelalter. Raupach wunderte sich, wie beliebt dieses Zeitalter war. Frauen hatten damals wenig zu lachen gehabt, nicht mal im Kloster.
    »Haben Sie mich erwartet?«, fragte er.
    »Um diese Uhrzeit nicht mehr.«
    »Manchmal müssen wir Überstunden machen. Heute ist so ein Tag.«
    »Ja.«
    Raupach setzte sich in den Sessel. »Ein langer Tag. Will einfach kein Ende nehmen.«
    Sie sagte nichts und nahm einen Schluck aus der Wasserflasche. Gebremste Bewegungen, als hätte er sie aus dem Schlaf gerissen, schwere Lider, das Gesicht ungeschminkt, die blonden Haare zu einem nachlässigen Pferdeschwanz gebunden. Corinne hatte eine hübsche Stupsnase, mit Sommersprossen, die ihr kindliches Aussehen noch betonten. Doch ein weites graues T-Shirt konnte ihre Rundungen nicht verbergen. Deutlich zeichneten sich ihre Brüste ab.
    Teenager. Entweder taten sie alles, um ihre Reize zur Schau zu stellen, zwängten sich in Push-up-BHs, dass einem angst und bange wurde. Mädchen wie Corinne verhielten sich dagegen so, als gehörte ihr Busen irgendwie nicht zu ihnen, ein Fremdkörper, der ihnen über Nacht gewachsen war, mit dem sie nichts anzufangen wussten, für den sie sich schämten.
    Corinne war barfuß. Ihre Beine steckten in Capri-Tights, der dehnbare Stoff spannte sich über der Haut. Große, ein wenig unproportionierte Füße stemmten sich in den Teppichboden.
    »Wann sind Sie hier eingezogen?«, fragte Raupach.
    »Vor zwei Jahren.«
    »Damals waren Sie siebzehn, oder?«
    »Ja.«
    »Da geht man nicht so einfach von Zuhause weg.«
    »Ich hab einen Ausbildungsplatz gekriegt.« Es klang wie eine Entschuldigung.
    »Wo?«
    »Im Städtischen Kinderkrankenhaus.«
    »Dann müssten Sie bald fertig sein«, meinte Raupach.
    »Ja. Dauert nicht mehr lang.«
    »Wie ist denn der Lohn?«
    »Das Letzte.«
    Er nickte. Dem war nichts hinzuzufügen. Was man als Pflegekraft bekam, war der reinste Hohn, ohne einen Streik würde sich daran nichts ändern. Bei Polizisten war es das Gleiche, die ließen sich auch jede Nullrunde gefallen.
    »Kommen wir zu Otto Wintrich.«
    »Ich weiß, wie er gestorben ist«, sagte Corinne tonlos. »Vera hat mir alles erzählt.«
    Vera, registrierte der Kommissar. Nicht Mama oder Mutter. Da wollte sich wohl jemand abnabeln. »Was für ein Verhältnis hatten Sie zu Otto?«
    »Keines.«
    »Sie kannten ihn doch?«
    »Kaum. Ich habe wenig

Weitere Kostenlose Bücher