Das geheime Kind
irgendwas?«
»Personensuchhunde, eine ganze Staffel, möglichst schnell.«
»Kriegst du.«
»Und klingle Effie aus dem Bett. Für das Gelände haben wir viel zu wenig Leute.«
»Effie hat am Morgen noch in den Kleingärten zu tun.«
»Dann fährt die Spurensicherung eben Doppelschichten. Außerdem brauche ich einen Zug Bereitschaftspolizei, nein, besser zwei. Die sollen weiträumig absperren, sonst schmeiße ich die erste Fernsehkamera, die hier auftaucht, eigenhändig in den Rhein.«
»Alles, was du willst.«
NICOLAS PULTE DEN METALLBATZEN mit der Spitze seines Messers aus dem Stamm. Er war kaum verformt. Die Frau hatte dreimal geschossen. Zwei Kugeln waren hinter ihm ins Dickicht gezischt, eine hatte den Baum getroffen, seine Deckung. Wenn er sich nicht blitzschnell zu Boden geworfen hätte, wie die Soldaten im Film, hätte er bestimmt was abgekriegt. Es war ein gutes bewährtes Versteck.
Nach einer Weile entfernten sich die Stimmen und die Luft war wieder rein. Als er ein Auto davonfahren hörte, richtete er sich auf und setzte seinen Nachhauseweg fort. Die Bahn-Brücke war der nächste Orientierungspunkt auf seiner Route.
Er hatte das Liebespaar lange beobachtet, angelockt von dem seltsamen Wortwechsel der beiden. Polizisten, die keine Polizisten sein wollten. Sie redeten und redeten, offenbar kannten sie sich gut. Und plötzlich, ohne Ankündigung, knutschten sie sich ab, obwohl die Polizistin mit der Pistole das gar nicht vorgehabt hatte.
Den Kommissar kannte Nicolas, von dem Besuch am Nachmittag. Wahrscheinlich lief es genau so: Die Frau erzählte, was sie gerade bedrückte, und der Mann hörte geduldig zu. Wenn die Frau genug erzählt hatte – Nicolas schätzte das Gespräch auf zehn Minuten –, durfte der Mann sie küssen.
Wenn Corinne sich im Internet entsprechend präsentierte, musste man bezahlen. Dann durfte man sie nackt sehen und sich das Küssen vorstellen. Das Reden wurde über die Dialogfenster abgewickelt.
Nicolas hatte das zuerst nicht fassen können. Seine Schwester da auf dem Bildschirm, für jeden verfügbar, anklickbar. Doch jetzt wusste er nicht mehr so genau, was daran falsch sein sollte. Und ob Corinne deswegen traurig war oder aus einem ganz anderen Grund.
Offenbar gab es Regeln für die Liebe, er hatte sie nur noch nicht ganz begriffen. Vielleicht hatte er sich früher unnötig Sorgen gemacht. In Wirklichkeit war das ganz normal, zehn Minuten Blabla, dann umarmte man sich und tat, was sich mit den Körpern so ergab.
Zu Hause stand Corinnes Mülheimer Adresse irgendwo im Kalender. Aber er brauchte eine Wegbeschreibung, eine, die er verstand. Mit einem Stadtplan konnte er nichts anfangen, zu viele Linien, Farben, Beschriftungen, das machte ihn ganz wuschig.
Wenn er vom Weg abwich, zum Beispiel um jemandem zu folgen, würden wieder schlimme Sachen passieren und es fiele ihm schwer zurückzufinden. Nein, das würde er nicht mehr riskieren.
Als Nicolas heimkam, war niemand da. Er musste sich bis zum nächsten Morgen gedulden. Mama war dann bestimmt von der Arbeit zurück, und er konnte sie fragen, wie er am besten zu Corinne fand. Vom Internet würde er ihr nichts erzählen, das behielt er lieber für sich. Corinne wollte sicher nicht, dass Mama etwas von www.koelschegirls.de erfuhr.
Wie oft hatte sie ihn gebeten, zu schweigen und kein Sterbenswort zu verraten? Sie waren sich ähnlich, sie beide, hielten ihr Leben unter Verschluss, damit ihnen niemand hineinredete und mehr Schaden anrichtete, als sie ertragen konnten.
Er spielte noch eine Partie Schach gegen sich selbst. Diesmal versuchte er, sich an die offiziellen Regeln zu halten, wie Otto sie ihm beigebracht hatte. Auf diese Weise konnte Bauer Nummer 3 jedoch kaum Einfluss auf den Spielverlauf nehmen, er war langsam und leicht zu schlagen. Das war schlecht.
Nicolas fegte die Figuren mit dem Unterarm vom Brett.
RAUPACH BENUTZTE DEN FERNSEHER nur zur Betäubung. Auf den zehn Sendern, die Photini vor einiger Zeit einprogrammiert hatte, lief der übliche nächtliche Müll.
Der Sportkanal zeigte Kickboxen. Manchmal kam Field Bowling, das war eine Mischung aus Boule und Curling und wurde auf Rasen gespielt. Ein paar scheintote Briten hatten es Raupach in Yorkshire beigebracht, der Lauf der Kugeln war bogenförmig. Man musste sie so nah wie möglich an eine kleinere Zielkugel rollen, den »Jack«. Die perfekte Einschlafhilfe. Kickboxen war dafür weniger geeignet.
Also legte er eine DVD mit seinem geliebten
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