Das geheime Kind
Hausmannskost, die zu Gourmetgerichten aufgepeppt wurde und von jedem Trottel in einer halben Stunde zubereitet werden konnte.
»Maybe in our little world there lives a cloud«, sagte der Maler und setzte dunkelbraune Kleckse auf einen orangeroten Himmel, die er dann zu Wolken ausarbeitete.
Raupach wusste von seiner Schottlandreise, dass diese Farben gar nicht so realitätsfern waren. Sie kamen tatsächlich in der Natur vor und waren mindestens genauso grell und intensiv, wie sie auf der Leinwand erschienen. Erfunden war nur die Leichtigkeit, mit der sie der Fernsehmaler entstehen ließ. Um die zu erreichen, hatte er schon zig Bilder in der gleichen Machart gemalt. Er hatte für die Kamera vermutlich geübt und mehrere Versuche gebraucht, damit es in der Show locker wirkte.
Kurz vor Schluss kam noch der unvermeidliche Baum hinzu, im Vordergrund wegen der Tiefenwirkung. Und nicht nur einer, es waren immer zwei. »Everyone needs a friend«, sagte der Maler jedes Mal.
Im Wegdämmern dachte Raupach an Corinne Bahling, die ihr Stofftier so sehr vermisste, den Eisbären. Wie nannte sie ihn? Numi?
Man musste wählerisch sein, auch bei seinen Freunden.
EIN ANRUF VON PHOTINI weckte ihn um halb acht. Wo er denn bliebe? Wann sie endlich mit Plavotics Vernehmung beginnen konnten.
Ihr Eifer brachte Raupach zum Staunen. »Wie geht es deinem Auge?«, fragte er und hievte sich von der Couch.
»Gut genug.« Sie legte auf.
Was für ein Start in den Tag.
Er duschte, streifte ein neues Hemd über und schlüpfte in seinen Anzug. Auf dem Weg zum Präsidium schaute er in der »Zweiten Hand« vorbei. Die Havemann hatte ihren Laden noch nicht geöffnet, war aber schon mit Klamottenkartons aus einer Haushaltsauflösung zugange und machte Raupach auf.
»Sie sind aber früh dran. Möchten Sie einen Kaffee?«
»Da sag ich nicht nein.«
Sie reichte dem Kommissar eine Tasse frisch gebrühten Filterkaffee und wollte ihn in dem Sessel mit den Spitzendeckchen Platz nehmen lassen.
Er wehrte ab. »Danke, ich muss gleich ins Präsidium.«
»Sind Sie schon weitergekommen mit Ihrem Fall?«
»Otto Wintrich hatte ein großes Umfeld. Inzwischen wissen wir eine Menge mehr, setzen einen Stein auf den anderen.«
»Nur der Mörtel fehlt, wie?«
»Es gibt sogar einen Verdächtigen.«
»Doch nicht den Tütentünn?«
»Einen jungen Taxifahrer. Milan Plavotic.«
»Kenn ich nicht.«
Raupach nahm einen Schluck Kaffee, er war genau richtig, das Koffein schien ihm direkt in die Glieder zu fahren. Ohne allzu deutlich zu werden, skizzierte er das Szenario konkurrierender Dealer.
»Klingt nicht gerade überzeugend«, meinte die Havemann. »Otto ist nicht rumgelaufen und hat den Leuten irgendwelche Mittelchen verkauft. Er hat mir mal was für die Galle gegeben. War natürlich viel wirkungsvoller als das Zeug auf Kassenrezept.«
»Vielleicht hat ihn seine Freigebigkeit ja in Schwierigkeiten gebracht.«
»Wenn Sie glauben, ich wäre so eine Krimitante, die nebenher Agatha Christie liest und ihnen beim Mörderscrabble hilft, dann sind Sie schief gewickelt. Otto war ein armes Schwein mit einem großen Herz, es tut mir wahnsinnig leid für ihn, Ende der Durchsage.«
Raupach trank seinen Kaffee aus. »Das ist jedenfalls guter Stoff.«
»Für Verlegenheitswitze bin ich unempfänglich.«
Er nickte. »Also schön, was soll der Eisbär kosten, den Wintrich bei Ihnen eingetauscht hat?«
Die Havemann seufzte. »Hab mir schon gedacht, dass Sie den noch brauchen.« Sie griff unter die Registrierkasse und legte das abgeliebte Stofftier mit dem verfärbten Fell auf den Verkaufstresen. »Beste Qualität. Müsste höchstens mal in die Waschmaschine.«
»Wie viel?«
»Sie kriegen ihn gratis. Aber eine kleine Spende für die Obdachlosen dürfen Sie dalassen.« Sie wies auf ein grinsendes Sparschwein. »Fünfzig Euro.«
»Das ist Wucher.«
»Warum haben Sie den Bären gestern nicht gleich beschlagnahmt?«
»Er ist kein Beweismittel. Nur ein Erinnerungsstück.« Raupach gab ihr einen Schein. »Übrigens heißt er Numi.«
»Es gab mal einen finnischen Läufer namens Nurmi, in den zwanziger Jahren.«
»Das war leicht vor meiner Zeit.«
»Auch ein armes Schwein. Wurde lebenslänglich gesperrt, weil er den Amateurstatus verletzt hat.«
»Der Eisbär gehört der Tochter von Wintrichs Lebensgefährtin, Corinne Bahling. Sie hängt an ihm. Ich möchte ihn ihr zurückgeben.«
Die Miene der Havemann verdüsterte sich. »Warum meinte Otto dann, er brächte
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