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Das geheime Kind

Das geheime Kind

Titel: Das geheime Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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hätte er die Tasche mit der Leiche gleich in den Rhein geworfen.« Raupach deutete zum Fluss.
    »Vielleicht wurde er dabei gestört. Oder er hat es sich im letzten Moment anders überlegt. Das Psychoreaktive Verhalten ist in solchen Situationen komplex.« Sie schaute dem Gerichtsmediziner über die Schulter, verfolgte, wie er den kleinen Körper abtastete und trotz seiner Erfahrung nicht so recht wusste, wie er ihn anpacken sollte.
    Heide war alles andere als kinderlieb. Immer, wenn sie diese Menschenminiaturen sah, rätselte sie über deren tieferen Sinn. Warum halsten sich die Leute Reproduktionen ihrer selbst auf? Was fanden die Leute so toll an sich, dass sie kleine Kopien davon anfertigten? Zugegeben, Kinder waren nicht für die Eitelkeit ihrer Eltern verantwortlich zu machen. Nach der Geburt konnte man sie im Grunde nur bedauern. Wer mochte schon zwei überforderten, hormonell ferngesteuerten Erzeugern, die sich früher oder später ohnehin trennten, auf Jahre hinaus hilflos ausgeliefert sein? Jedes tote Baby, das die Polizei in Köln fand, war ein Beweis mehr, dass Homo sapiens seit geraumer Zeit in einer Sackgasse gelandet war. Aber das hieß nicht, dass er straffrei ausging. Wenn Homo sapiens neben seinen gattungsüblichen Entgleisungen auch noch unschuldige Kinder umbrachte, knöpfte Heide sich ihn vor.
    Am widerwärtigsten war die Tasche. Sie sah relativ neu aus, an Tankstellen bekam man solche Dinger als Dreingabe. Immerhin war sie für die DNA-Analyse nützlicher als eine Plastiktüte oder ein Schuhkarton, das hatte es auch schon gegeben.
    Clausing schob seinen Mundschutz hoch. »Es ist ein Junge. Keine Krankheiten, soweit ich das beurteilen kann. Circa zwei Wochen alt, normal entwickelt. Der Zeitpunkt des Exitus lässt sich schwer bestimmen. Wegen der noch schwach ausgeprägten Skelettmuskelmasse verzögert sich der Rigor mortis für gewöhnlich.«
    »Die Totenstarre«, ergänzte Heide, um es für Höttges festzuhalten.
    »Auch der Verwesungsprozess vollzieht sich langsamer, aufgrund der geringen Bakterienbesiedlung bei Säuglingen.«
    Für Heide waren das genug Pathologendetails. »Also, wann ist er gestorben?«
    »Vor ein oder zwei Tagen. Eher vor zwei.«
    »Und woran?«
    »Das kann ich erst nach der Autopsie sagen. Äußerlich sind keine Hinweise auf Gewalt zu finden. Vielleicht ist er erstickt.«
    »Sie meinen wohl, er wurde erstickt. Mit einem Kissen, da denken die meisten Täter, es verursache keine Spuren.«
    »Mikrofasern in den Atemwegen und in der Lunge.« Clausing richtete sich auf. »Ich schaue mir das noch genau an. Eine Infektion wäre ebenso denkbar oder toxische Einflüsse. Auf den ersten Blick ist jedoch keine Todesursache festzustellen.«
    »Wir kennen mehr als genug Wege, es wie einen Zufall aussehen zu lassen.«
    Heide betrachtete noch einmal das Kind. Es hatte erstaunlich viele Haare auf dem Kopf. Die Fingernägel waren auch schon vollständig ausgebildet. Nur wer ein Herz aus Stein besaß, empfand da kein Mitleid.
    »Höttges, Sie stellen eine Liste aller Babys zusammen, die in den vergangenen vier Wochen in Köln entbunden wurden. Frauenärzte, Krankenhäuser, das Einwohnermeldeamt, Sozialstationen. Klemmen Sie sich in aller Frühe hinters Telefon.«
    »In Ordnung.«
    »Bis dahin besorgen Sie sich was zu essen. Und geben es nicht gleich wieder von sich.«
    »Ich spreche mit den beiden Männern.« Raupach schickte sich zum Gehen an. »Möchte mal wissen, was die hier verloren hatten.«
    »Nichts da, das mache ich.«
    »Aber –«
    »Geh nach Hause, Klemens. Das ist mein Fall.«
    Heide war sprunghaft, das wusste er. Offenbar ärgerte sie sich noch über ihn, weil sie annahm, dass er sie im Nordpark nicht für voll genommen hatte. Doch um eine Babyleiche, die im Nirgendwo abgelegt worden war, riss sich kein Polizist. Das bedeutete: hungrige Medien, Aufklärung zweifelhaft.
    »Bist du sicher?«, fragte er.
    »Ja.«
    »Und der Brief, den du mir schreiben wolltest?«
    »Kann warten.«
    Raupach zögerte. Nach allem, was zwischen ihnen in der Heckenrose geschehen war, meinte er, etwas Persönliches hinzufügen zu müssen, aber nicht vor Höttges und Clausing. »Danke für das gute Gespräch vorhin«, sagte er und berührte sie an der Hand. »Müssen wir unbedingt wiederholen.«
    Wie lahm und gönnerhaft klang das denn? »Verschwinde endlich«, blaffte Heide. »Nicht dass du mir noch den Fundort kontaminierst.«
    Widerstrebend trat er den Rückzug an. »Brauchst du

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