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Das geheime Kind

Das geheime Kind

Titel: Das geheime Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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verfolgten.
    »Beeilt euch! Ich schicke ein Sonderkommando nach Mülheim – falls noch ein paar Leute verfügbar sind, im Nordpark herrscht der Ausnahmezustand.«
    »Und einen Krankenwagen.«
    Photini legte auf und rannte mit großen Sprüngen die Treppe hinunter. Hilgers war dicht hinter ihr. Er hatte genug mitgekriegt, wusste, was auf dem Spiel stand. Suizidgefahr.
    Entgegenkommende Besucher drückten sich an die Wand, wurden hart angerempelt, protestierten.
    Die Empfangshalle. Sie hatten das Auto ein paar hundert Meter weiter weg geparkt. Schlecht.
    »Zum Parkhaus!«, schlug Hilgers vor.
    »Schnell!«
    Flügeltüren aufstoßen.
    Einer Frau in den Wehen und einem Krankenpfleger ausweichen.
    Schwestern den Ausweis fast ins Gesicht rammen, damit sie den Weg freigaben.
    Weiter. Nicht daran denken, wie viel Zeit mit den Befragungen vergangen war. Ob überhaupt noch Zeit blieb.
    Bringt man sich nachts um, wenn im Dunkeln alles aussichtslos erscheint? Oder bei Tagesanbruch, im Licht einer unbeschreitbaren Zukunft?
    Aufs erste Parkdeck taumeln, sich orientieren.
    Autos.
    Ein Mann stieg in seinen Porsche Cayenne. Teurer Anzug, gesunder Teint, vermutlich ein Chefarzt.
    »Ihr Wagen ist beschlagnahmt.«
    Photini packte ihn an der Krawatte und zerrte ihn aus seiner fetten Kiste. Der Zündschlüssel steckte. Sie schnippte eine Visitenkarte nach draußen und knallte die Tür zu. Hilgers konnte gerade noch hinter ihr einsteigen, bevor sie zurückstieß.
    Dann drückte sie drauf, die Ausfahrt lag gleich um die Ecke.
    Reifenquietschen. Photini hielt sich nicht damit auf, die Parkkarte des Cayenne-Mannes aus der Mittelkonsole zu fummeln. Ein lauter Aufprall, splitternde Scheinwerfer. Die gelb-schwarze Schranke brach glatt durch.
    Sie schossen auf die Straße.
     
    NICOLAS LAG sonst immer auf dem Rücken, eingewickelt wie eine Mumie, damit nur sein Kopf herausschaute. Ein Bergsteiger im Schneesturm, Biwak, Wärme speichern, um auf dem Felsvorsprung nicht zu erfrieren. Keine falsche Bewegung, sonst stürzte man ab.
    Früher hatte er sich das oft vorgestellt, beim Camping in den Alpen. Da waren sie noch Kinder gewesen, er und seine Schwester, vor vielen Jahren. Bis vor kurzem war diese Zeit für ihn greifbar gewesen, er konnte die Hand danach ausstrecken und sie berühren, sie hatte Formen, Konturen, Farben besessen. Jetzt erschien sie ihm durchsichtig und ohne Gestalt.
    Als er an diesem Morgen erwachte, hatte er die Bettdecke weggestrampelt. Er schlotterte vor Kälte. Und wusste gleich, dass dieser Tag anders werden würde. Ganz anders als die beiden vorangegangenen, obwohl am Donnerstag und am Freitag schon unglaublich viele ungewöhnliche Dinge passiert waren. Die Felder des Spielbretts, so wie er es bisher gekannt hatte, vervielfachten sich.
    Seltsamerweise beunruhigte ihn das nicht. Er hatte den Eindruck, längst auf neuen Spielfeldern zu stehen. Die Figuren waren nicht mehr in ihren Bewegungen eingeschränkt, Dame und Läufer konnten beliebig weit ziehen. Als kleiner Bauer musste man sehen, dass man da hinterherkam.
    Nicolas setzte sich auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Die Alpen. Ein Schachbrett. Alles zu seiner Zeit. Die Wirklichkeit wartete auf ihn.
    Corinne. Jetzt, wo er herausgefunden hatte, wie das zwischen Mann und Frau vonstatten ging, wie das mit dem Reden und dem Küssen funktionierte, so dass beide Seiten einverstanden waren und Freude daran hatten, konnte er ihr helfen. Oder besser noch: Er würde zu ihr ziehen und an Ort und Stelle auf sie achtgeben. Als Erstes würde er ihren Computer aus dem Verkehr ziehen, damit niemand sie mehr auf www.koelsche-girls.de begaffen konnte. Auf Dauer war das nicht gut für sie.
    Waschen, Zähneputzen, dann Frühstück mit Mama. Nach ihrer Spätschicht hatte sie länger geschlafen. Jetzt telefonierte sie, beruflich, wie immer. Dachte nur an die Babys anderer Leute. An diesem Morgen hasste er sie dafür. Als ob Babys die Einzigen waren, die Hilfe brauchten.
    Er schlug Corinnes Adresse im Kalender nach. Er musste sie finden, unbedingt. Und er würde das allein hinkriegen.
    Da stand auch eine Handynummer. Die nutzte ihm nichts, am Telefon brachte er immer keinen Ton heraus.
    Thorben war schon unterwegs, obwohl er an Samstagen meistens frei hatte. Sein Beschützer beschützte ihn nicht. Besser so.
    Anziehen, die Reihenfolge war egal, jetzt, wo er ein klares Ziel hatte und nur noch daran dachte, wie es zu erreichen war.
    Wohin er ginge, fragte Mama. Zum Supermarkt, log er,

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