Das geheime Leben der CeeCee Wilkes

Messerstichen ermordet worden. Die Nachbarin sagte aus, sie habe Andie mit dem Fotograf am Tag zuvor im Garten sprechen sehen.” Tim stellte das Bild zurück auf den Nachttisch, stand auf und fuhr sich mit den Händen durchs Haar. “Und danach lief alles schief.”
    CeeCee versuchte, sich ihr Entsetzen nicht anmerken zu lassen. Ein Mann war im Garten hinter dem Haus, in dem sie sich gerade aufhielt, ermordet worden. Mit über zwölf Messerstichen. Ihr schauderte bei der Vorstellung.
    “Die Polizei befragte Andie, Marty und mich getrennt.” Tim berührte einige andere Dinge auf dem Nachttisch. Ein weiteres Foto. Einen Handspiegel. Ein Feuerzeug. “Und jeder von uns sagte etwas anderes aus. Ich sagte die Wahrheit. Dass ich zu der Zeit an der Uni war und dass ich mich mit Marty zum Mittagessen getroffen hätte. Er war gerade erst aus Vietnam zurückgekehrt und völlig am Ende.”
    Tim zog die oberste Schublade des Nachttischs auf und nahm eine ungeöffnete Packung Winstons heraus. CeeCee saß ganz still, als er sich eine Zigarette anzündete und den Rauch langsam ausatmete. Dann hielt er ihr die Packung hin, aber sie schüttelte den Kopf.
    “Marty hingegen hat gelogen”, sagte Tim. “Er behauptete, er wäre den ganzen Nachmittag mit Andie im Haus gewesen, und dass sie nicht nach draußen gegangen wäre. Er sagte das natürlich, um sie zu schützen.” Sein Lachen klang gequält. “Das ist alles so bescheuert.”
    “Und was sagte Andie?”
    “Dass sie allein zu Hause war und den Typ nicht mal bemerkt hatte. Allerdings waren ihre Fingerabdrücke auf dem Messer. Aber es war ein Messer aus unserer Küche, das auch von meiner Schwester ständig benutzt wurde. Also bekam Marty Ärger wegen seiner Falschaussage und Andie wanderte für eineinhalb Jahre in Untersuchungshaft, bis zum Prozess. Meine Eltern kamen sofort aus Europa zurück und besorgten ihr einen guten Anwalt, aber Andies Geschichte klang einfach zu verrückt. Die Anklage ging davon aus, sie habe alles geplant. Dass Andie ihn wegen seiner Fotoausrüstung umgebracht hätte, obwohl überhaupt nichts gestohlen worden war. Das Problem ist, dass Andie nicht daran geglaubt hat, verurteilt zu werden, deswegen hat sie niemandem gesagt, was wirklich geschehen ist. Sie log während des Prozesses, sie log auch ihren Anwalt an, weil …” Er inhalierte tief den Rauch seiner Zigarette, dann sah er CeeCee direkt an. “Weil sie ihn tatsächlich umgebracht hat, aber der Meinung war, mit ihrem Geständnis alles nur noch schlimmer zu machen.”
    “Sie hat es getan?” Die Vorstellung von den Ereignissen im Garten wurde in CeeCees Kopf immer lebhafter. Sie sah das hübsche blonde Mädchen von dem Foto, ein Messer in der Hand haltend, das sie immer wieder in das Herz eines Fremden stieß. Zwölf Mal.
    “Sie hat die Wahrheit erst gesagt, nachdem sie verurteilt worden war. Es war … furchtbar. Wir alle waren im Gerichtssaal, als das Urteil verkündet wurde. Meine Mutter begann zu schluchzen und Andie stand auf und rief: ‘Ich will die Wahrheit sagen! Ich will die Wahrheit sagen!’ Aber dazu war es etwas zu spät.”
    “Und was war die Wahrheit?”
    “Der Typ hatte sie vergewaltigt.” Tim führte mit zitternden Händen die Zigarette an die Lippen. “Er hat sie gebeten, ihn hereinzulassen, um die Zimmer zu fotografieren, und dann …” Tim brach ab. “Lass es mich so sagen: Er war einfach ein brutaler Dreckskerl. Nachdem er gegangen war, schnappte sie sich, halb verrückt geworden, das Messer, rannte ihm in den Garten hinterher und brachte ihn um. Hat sich gerächt für das, was er ihr angetan hat. Ich glaubte ihr. Wir alle glaubten ihr. Aber ihr Anwalt nicht, und es war sowieso zu spät. Nachdem sie einmal einen Meineid geleistet hatte, würde sie es wieder tun. So dachten wohl die anderen.” Tim lehnte sich mit verschränkten Armen an den Nachttisch. “Sie wurde zum Tode verurteilt.”
    Jetzt begriff sie. “Oh”, sagte sie völlig schockiert.
    “Und unsere Mutter konnte es nicht ertragen. Mom hatte schon immer Depressionen, und jetzt fühlte sie sich auch noch schuldig, weil sie und mein Vater so viel auf Reisen gewesen waren, statt sich um Andie zu kümmern. Obwohl wir natürlich alt genug waren, um auf uns selbst aufzupassen. Und so …”, Tim hob in einer hilflosen Geste die Arme, “… kam ich ein paar Tage nach der Urteilsverkündung nach Hause und fand meine Mutter. Überdosis.” Er sah auf das Bett, auf dem CeeCee noch immer saß, und da wusste sie,