Das geheime Leben der CeeCee Wilkes
wo er seine Mutter gefunden hatte. Sie stand auf.
“Es tut mir so leid”, murmelte sie fassungslos. Seine Familie, offenbar einstmals wohlhabend und glücklich, war einfach zu Staub zerfallen. Eine Tochter, die zum Tode verurteilt wurde. Ein Sohn, der in Vietnam den Verstand verlor. Eine Mutter, die sich selbst umbrachte. Sie schlang die Arme um Tim und drückte ihre Wange an seine nackte Brust. “Das ist so furchtbar.”
Er erwiderte ihre Umarmung, legte sein Kinn sanft auf ihren Kopf. “Willst du noch immer hier mit mir zusammen sein?”
“Mehr denn je.” Sie würde ihn trösten. Sie würden sich gegenseitig trösten. “Ist Andie … ist sie noch am Leben?”, fragte sie.
“Sie sitzt im Todestrakt. Und noch immer habe ich dir nichts von SCAPE erzählt.”
“Und was ist das nun?” Sie sah zu ihm hoch.
Er drückte die Zigarette aus. “Wir – also Marty, ich und ein paar Anwälte – haben alles versucht, damit ihr Strafmaß gemildert wird. SCAPE ist eine Organisation von Leuten, die gegen die Todesstrafe sind. Es steht für:
Stop Capital Punishment Everywhere.
Aber es handelt sich dabei eher um eine Untergrundgruppe.”
“Was bedeutet das?”
“Hast du schon mal vom ‘
Weather Underground’
gehört?”
CeeCee hob zögernd ihre Schultern. Der Name kam ihr bekannt vor, aber sie wusste nicht, woher.
“Das waren ein paar Leute, die versucht haben, einiges in diesem Land zu verändern, allerdings nicht gerade auf konventionelle Art und Weise. In Bezug auf SCAPE wurden Wege gesucht, um die Todesstrafe abzuschaffen. Wir haben demonstriert und … solche Sachen eben.”
“Habt ihr an Präsident Carter geschrieben?”
“Carter kann da eigentlich nichts ausrichten. Der einzige Mensch, der ihre Hinrichtung verhindern kann, ist Gouverneur Russell. Ich habe ihm geschrieben und versucht, einen Termin zu bekommen. Aber ihn interessiert das alles einen Dreck. Er ist ein richtiger Hardliner, froh darüber, dass die Todesstrafe wieder legal ist. Was für ein Arschloch. Ich glaube, er will an Andie ein Exempel statuieren. Nach dem Motto: Seht ihr, selbst Frauen müssen dafür bezahlen, wenn sie die Gesetze des Landes brechen.”
“Aber
irgendwas
muss man doch tun können”, rief sie.
“Ich mag deinen Optimismus.” Er lächelte. “Und ich glaube, ich habe mich in dich verliebt.”
Auf diese Worte hatte sie die ganze Zeit gewartet. “Und ich
weiß
, dass ich dich liebe.”
“Ganz ehrlich, ich habe noch nie zuvor so empfunden. Du bist sehr jung, und ich dachte zuerst, das könnte vielleicht ein Problem werden, aber du bist etwas ganz Besonderes. Du bist so positiv und steckst mich mit deiner Lebensfreude richtig an. Ich danke dir dafür.”
CeeCee nickte überglücklich.
“Und bitte, behalte das alles … über SCAPE und so … für dich.”
Er sah besorgt aus, ihr Herz quoll beinahe über vor Liebe. “Ich würde alles für dich tun”, sagte sie und meinte es auch wirklich so.
5. KAPITEL
L iebe CeeCee
,
es fällt mir schwer, dir weitere Ratschläge über Jungen und Männer zu geben, ohne dich dadurch zu ängstigen. Am besten wird es sein, dir von meinen eigenen Erfahrungen zu erzählen.
Mit fünfzehn wurde ich vergewaltigt. (Nicht von deinem Vater, also mach dir darüber keine Gedanken!) Ich arbeitete nach der Schule in einer Gärtnerei, und er war Stammkunde. Als er mir also eines Abends anbot, mich nach Hause zu fahren, dachte ich mir nichts dabei. Ich war dumm genug, ihm zu erzählen, dass meine Eltern nicht da waren. Er brachte mich zur Tür, und ehe ich mich versah, hatte er mich rücklings auf die Veranda geworfen und hielt mir den Mund zu. Ich konnte nichts tun. Hinterher stand er einfach lächelnd auf und fuhr davon. Ich war so wütend. Wenn ich eine Pistole gehabt hätte, hätte ich ihn umgebracht.
Ich habe das bisher niemandem erzählt, CeeCee, weil ich mich so für meine Dummheit schämte.
Ich vermute, dass es irgendwo da draußen auch gute Kerle gibt, aber leider hatte ich nie das Glück, einen zu treffen. Also sei bitte vorsichtig, tu niemals etwas so Dummes wie ich, ja?
Ihre Liebe zu Tim wuchs mit jeder Sekunde. Morgens im Coffeeshop konnte sie das süße Geheimnis zwischen ihnen fast körperlich spüren. Nun, Ronnie wusste natürlich, wie sehr sie ihn liebte, aber sie wusste nichts von dieser tiefen Verbindung – und hätte es auch niemals verstanden. Ronnie spielte lieber mit den Männern. Ihre Tipps reichten vom Flirten mit anderen Kunden, um Tim eifersüchtig zu
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