Das geheime Leben der CeeCee Wilkes
schmutzige Teller und Pizzaschachteln lagen verstreut auf antiken Tischchen und Stühlen in dem ansonsten eleganten Eingangsbereich. Im Esszimmer entdeckte sie einen umgefallenen Stuhl, im Wohnzimmer lag eine zerbrochene Vase auf dem Boden. Der Geruch nach Marihuana waberte die Wendeltreppe hinunter, zusammen mit den Klängen von
Hotel California.
“Das Dienstmädchen hat heute frei”, witzelte Tim. “Hoffe, du störst dich nicht an ein wenig Durcheinander.”
Ein Mann mit langem, verwuscheltem Haar kam barfuß aus dem Wohnzimmer in die Eingangshalle, eine Flasche Bier in der einen und eine Zigarette in der anderen Hand. Als er sie sah, blieb er überrascht stehen.
“Was gibt’s, Brüderlein?”
Der Mann warf CeeCee, die unvermittelt einen Schritt zurückwich, einen langen Blick zu. Seine Augen waren blutunterlaufen, er war unrasiert und sah aus wie einer der Obdachlosen auf der Franklin Street.
“Wer ist das?” Er deutete auf CeeCee.
“Das ist CeeCee.” Tim legte einen Arm um ihre Schulter. “Und das ist mein Bruder Marty.”
Marty nickte knapp. “Wie alt bist du?”, fragte er. “Zwölf? Dreizehn?”
“Lass sie in Ruhe”, sagte Tim.
“Ich bin sechzehn.”
Marty pfiff durch die Zähne, dann ging er zurück ins Wohnzimmer. “Tim, beweg deinen Hintern hierher”, rief er über die Schulter.
Tim sah sie um Entschuldigung bittend an. “Da ist die Küche.” Er zeigte auf eine Tür. “Nimm dir einfach was zu trinken, ich bin gleich wieder da.”
Das Chaos in der Küche ließ die Eingangshalle beinahe wie aus einem Einrichtungsmagazin wirken. Im Waschbecken stapelte sich schmutziges Geschirr. Die lang gestreckten, blauen Arbeitsplatten waren mit Pizzaresten, leeren Bierflaschen und überfüllten Aschenbechern überhäuft. Misstrauisch öffnete sie den Kühlschrank, stellte aber zu ihrer Erleichterung fest, dass es darin nicht ganz so schlimm aussah. Verschiedene Käsesorten, Bier und eine Dose Cola. Sie nahm sich die Cola, schlich auf Zehenspitzen zur Tür und versuchte angestrengt, dem Gespräch zwischen Tim und Marty zu lauschen. Die Stimmen waren gedämpft, aber sie konnte hören, wie Marty sagte: “Du hast jetzt keine Zeit für so einen Scheiß. Du musst dich auf eine Sache konzentrieren.”
Sprach er von Tims Studium? Es war ziemlich bizarr, dass jemand, der so neben der Kappe war wie Marty, Tim eine Predigt halten wollte.
“… vermassel unseren Plan nicht”, sagte Marty.
“Du kannst mich mal”, entgegnete Tim, und dann hörte sie, wie sich seine Schritte der Küche näherten. Sie lehnte sich gegen die Küchentheke und nippte an der Cola.
“Entschuldige”, sagte Tim, als er hereinkam. “Marty ist manchmal ein wenig paranoid.”
“Macht doch nichts.” In Wahrheit wünschte sie, Marty würde verschwinden und sie allein lassen. Sie fühlte sich nicht wohl, solange er im Haus war.
Tim nahm ihr die Dose aus der Hand und stellte sie auf den Tisch. Dann schlang er die Arme um CeeCee, lächelte sie aus seinen grünen Augen an und beugte sich nach unten, um sie zu küssen. Sie hatte schon ein paar Mal mit anderen Jungs so dagestanden. Hatte sie geküsst und ihnen sogar erlaubt, ihre Brüste anzufassen, aber mehr auch nicht. Tim aber war kein Junge. Dieser Kuss war eine Premiere für sie – ein Kuss, der elektrisierende Wellen durch ihren Körper sandte.
Tim schien zu ahnen, welche Wirkung er auf sie hatte. “Lass uns nach oben in mein Zimmer gehen”, sagte er.
“Ich nehme keine Pille oder so was.” CeeCee fielen gerade noch die schriftlichen Ermahnungen ihrer Mutter ein.
“Keine Sorge. Ich habe Kondome.”
Sie nahm seine Hand und gemeinsam liefen sie die Wendeltreppe hinauf an einem Zimmer vorbei, aus dem die Musik dröhnte und der süße Marihuana-Geruch drang. Tims Zimmer musste mal ein schöner Raum gewesen sein, mit blau gestreiften Tapeten und einem Doppelbett aus dunklem Kirschholz. Allerdings war davon kaum noch etwas zu erkennen, und sie wollte gar nicht darüber nachdenken, wann er das Bett wohl zum letzten Mal bezogen hatte. Es war ihr egal. Er schloss die Tür, drehte den Schlüssel um und zog sie zu sich heran.
Hinterher kuschelten sie sich aneinander. Er hatte ein kleines Licht brennen lassen, in dessen Schein sie sein Gesicht auf dem Kopfkissen neben sich gerade noch erkennen konnte. Er streichelte mit den Fingern über ihre Wange und wickelte sich eine Haarsträhne darum.
“Geht es dir gut?”, fragte er. “Hast du Schmerzen?”
“Mir geht es besser
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