Das geheime Leben der CeeCee Wilkes
bis sie plötzlich das Haus entdeckte, nach dem sie gesucht hatte. Scheinwerfer erhellten das ganze Grundstück.
“Oh nein”, murmelte sie. Das Gebäude war von einem massiven Eisenzaun umgeben. Wie hatte sie das vergessen können. Sie fuhr sehr langsam, um durch die Eisenstäbe spähen zu können. Im Erdgeschoss brannte Licht und CeeCee stellte sich vor, wie der Gouverneur an seinem Schreibtisch saß und Tim am Telefon anflehte, seine Frau am Leben zu lassen.
Dann entdeckte sie jemanden auf der großen, kreisförmigen Auffahrt und erschrak so, dass sie den Motor abwürgte. Hastig startete sie erneut, legte sie den ersten Gang ein und bog um die Ecke.
Ihr Herz hämmerte, als ob sie kilometerweit gerannt wäre. Sie machte die Lichter des Autos aus und sah nun auch, dass jede Menge Leute vor dem Haus standen, die meisten von ihnen waren Polizisten. Selbst wenn sie also irgendwie einen Weg über den unüberwindlich scheinenden Zaun gefunden hätte, die Polizei war überall. Natürlich. Schließlich war die Frau des Gouverneurs entführt worden. Was hatte sie denn erwartet?
Sie rutschte tiefer in ihren Sitz und grübelte, was sie nun tun sollte. Links vor ihr parkte ein Streifenwagen. Falls er nicht abgeschlossen war, konnte sie das Baby vielleicht hineinlegen. Aber wenn der Polizist erst Stunden später zurückkam? Dann würde das Baby aufwachen, einsam und verlassen, hungrig und frierend. Vielleicht hatte der Polizist Nachtschicht und würde erst morgens zum Auto zurückkehren.
Ihr fiel aber nichts Besseres ein. Sie musste das Baby ins Auto legen und dann von einer Telefonzelle aus bei der Polizei anrufen. Naomi würde durchdrehen, wenn sie davon erfuhr. Aber wer würde schon Naomi damit in Zusammenhang bringen? Sie nahm das Baby aus dem Korb, drückte es an die Brust und atmete seinen Duft ein letztes Mal tief ein. “Ich werde dich vermissen”, wisperte CeeCee. “Aber ich werde irgendwie herausfinden, ob es dir gut geht.”
Sie dachte noch einmal kurz darüber nach, was sie zu tun hatte. Den Motor laufen lassen, schnell die Straße überqueren und das Baby auf den Sitz des Streifenwagens legen. Aber wenn der Polizist in der Dunkelheit zurückkam, bevor sie noch anrufen konnte, und sich aus Versehen auf das Kind setzte? Gut, sie musste den Rücksitz nehmen und dann so schnell wie möglich verschwinden.
Sie holte tief Luft, stieg aus, rannte über die Straße und versuchte, die hintere Tür des Wagens zu öffnen.
Schriller Alarm zerschnitt die Luft. Hastig ließ sie den Türgriff los, doch der Lärm hörte nicht auf. Jemand rief etwas. CeeCee raste zurück zu ihrem Auto, warf das schreiende Baby in den Wäschekorb und fuhr los. Sie war bereits ein paar Straßen weiter, als sie die Sirenen hörte. So schnell sie konnte, bog sie ein paar Mal ab, das Sirenengeheul wurde leiser, als sie auf eine Hauptstraße fuhr. Zum Glück entdeckte sie ein Autobahnschild. Zwar war sie noch nie Autobahn gefahren, war aber einfach nur dankbar für die Anonymität einer so großen Straße. Schluchzend fädelte sie sich in den Verkehr ein. Ihre Muskeln zitterten so heftig, dass es weh tat, ihr Herz hämmerte in ihrer Brust, als wollte es zerspringen. Konnte eine Sechzehnjährige einen Herzinfarkt bekommen? Was würde dann aus dem Baby werden?
Sie legte eine Hand auf das brüllende Kind. “Tut mir leid, Gänseblümchen. Ich mache es wieder gut, versprochen.”
Als sie sich einigermaßen in Sicherheit fühlte, fuhr sie auf einen Parkplatz, wechselte dem schreienden Baby die Windel und gab ihm das Fläschchen. Es dauerte lange, bis das Kind sich beruhigte, und CeeCee befürchtete, dass es dieses traumatische Erlebnis nie überwinden würde – heulende Sirenen, die wilde Autofahrt durch die Nacht. Jetzt war kein Gedanke mehr daran zu verschwenden, das Kind bei der Polizei abzugeben. Vielleicht konnte sie es in Charlottesville noch einmal versuchen, aber nicht heute Nacht.
Sie drückte das Baby an sich und küsste die zarte Haut in seinem Nacken. Du hast sie gerettet, hatte Naomi gesagt. CeeCee weinte ein wenig, weil es ihr nicht gelungen war, das Kind zurückzubringen, aber wahrscheinlich würde sie viel heftiger weinen, wenn sie es getan hätte. Sie liebte dieses Kind bereits über alles. Es war eine andere Liebe als die, die sie für Tim empfand. Und eine tiefere als die für ihre Mutter – eine reine, bedingungslose Liebe, so groß und weit wie das Meer.
EVE
18. KAPITEL
E s war beinahe dreiundzwanzig Uhr, als sie
Weitere Kostenlose Bücher