Das geheime Leben der CeeCee Wilkes
Charlottesville erreichte. Obwohl es so spät war, spazierten junge Leute – Studenten? – mit unter den Arm geklemmten Büchern lachend und plaudernd über die Gehwege.
“Sieh dir das an, Gänseblümchen”, sagte sie zu dem schlafenden Baby. “Hier ist es wie in Chapel Hill.”
An einer Ampel las sie sich noch einmal Forrests Wegbeschreibung durch und fuhr dann etwa eine halbe Meile bis zu einem alten weißen, zweistöckigen Haus. Hausnummer einhundertsechsundsiebzig. Das war es. Sie parkte direkt vor dem Gebäude.
Es wirkte ein wenig schief, aber gemütlich mit den erleuchteten Fenstern im Erdgeschoss.
Sie nahm die Kleine auf den Arm, stieg aus, atmete den Geruch von verbranntem Holz ein und erstarrte plötzlich. Vielleicht wartete ja bereits die Polizei auf sie. Schnell ließ sie ihren Blick über die Straße schweifen auf der Suche nach einem Streifenwagen. Dann beruhigte sie sich langsam wieder. Sie war einfach viel zu müde, um sich noch mehr paranoide Gedanken zu machen.
Drei Kürbisse lagen auf der Verandatreppe, die Tür war mit einem Kranz geschmückt. Das Baby bewegte sich an ihrer Schulter, als sie die Stufen hinaufschritt. “Wir sind da, Gänseblümchen”, sagte sie. “Ich weiß zwar nicht genau, was ‘da’ bedeutet, aber das werden wir schon herausfinden.”
Sie zog an der kurzen Klingelschnur, ein Läuten hallte durch die stille Nacht. Die Tür wurde sofort geöffnet und eine freundlich lächelnde Frau stand vor ihr.
“Eve?”, fragte sie. Sie war ungefähr sechzig und trug einen Baumwollpullover über einem cremefarbenen Strickkleid. Ihr fast weißes Haar war zu einem Bubikopf geschnitten, ihre schwarz umrandete Brille reflektierte das Eingangslicht.
“Ja”, entgegnete CeeCee. “Ich bin Eve Bailey.”
“Und ich bin Marian. Komm rein, komm rein.” Sie zog CeeCee sanft am Arm ins Haus. “Du musst müde sein nach der langen Fahrt von Charleston! Es ist doch nicht zu glauben, wie kalt es bereits ist.”
Beinahe hätte CeeCee sie korrigiert, dass sie aus New Bern kam, doch zum Glück fiel ihr noch rechtzeitig die Geschichte ein, die von nun an zu ihrem Lebenslauf gehörte. Sie trat in den warmen Flur. Rechts befand sich das Wohnzimmer, in dem ein Feuer im Kamin prasselte. Sie entdeckte Sofa und Sessel, die so bequem und weich aussahen, dass sie sich am liebsten sofort hätte hineinsinken lassen.
“Ich nehme dir das Kleine ab, damit du deine Jacke ausziehen kannst, Liebes.” Marian nahm das Kind mit einer selbstsicheren Geste auf den Arm. “Ach, dein Haar ist ja wunderschön!” Marian schüttelte erstaunt den Kopf, und CeeCee musste daran denken, wie Tim immer auf ihre Haare reagiert hatte. Als ob sie zu schön waren, um wahr zu sein.
“Danke”, sagte sie.
“Setz dich ans Feuer.”
CeeCee ließ sich aufs Sofa sinken, die Kissen waren genauso weich, wie sie es sich vorgestellt hatte. Nach der langen Reise fühlte sie sich endlich in Sicherheit, obwohl sie darauf kaum zu hoffen gewagt hatte.
“Hast du Hunger?” Marian drückte das Kind fest an ihre Brust, und erst jetzt bemerkte CeeCee, dass die Frau schwarze Strumpfhosen und rote Turnschuhe trug. “Ich habe noch Hühnersuppe, die ich dir warm machen kann. Oder, falls du Vegetarierin bist, habe ich auch eine Dose Linsensuppe.”
CeeCee hatte seit ihrer Abfahrt aus New Bern nicht mehr ans Essen gedacht und spürte erst jetzt, wie hungrig sie war. “Ich will Ihnen keine Mühe machen.” Sie klang wie eine Erwachsene, ungewohnt für ihre eigenen Ohren.
“Ich habe auf dich gewartet, Liebes. Und jede Menge Suppe gekocht. Es macht überhaupt keine Mühe. Und bitte sag du zu mir.”
“Dann hätte ich gerne Hühnersuppe.”
“Aber erst muss ich mir diesen kleinen Zwerg mal genau anschauen.” Marian setzte sich auf die Couch und legte sich das Baby auf die Knie.
Weck sie nicht auf, hätte CeeCee am liebsten gerufen. Die Kleine war erst kurz vor Charlottesville eingeschlafen.
“Sie ist wirklich taufrisch, nicht wahr?” Marian zog vorsichtig die Decke von dem kleinen Gesicht. “Was für eine Schönheit. Wann hast du sie bekommen? Stillst du sie?”
Erschrocken suchte CeeCee nach einer Antwort. Marian dachte, dass es ihr eigenes Baby war! Sie war überrascht, aber auch irgendwie stolz.
“Sie kam …” CeeCee versuchte, sich an das Datum auf der Geburtsurkunde zu erinnern, “… vor ungefähr einer Woche, glaube ich. Die Zeit rast. Und ich stille sie nicht”, fügte sie schnell hinzu. “Ich habe Milchpulver
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