Das geheime Lied: Roman (German Edition)
drei Röcke, die jede Dame von Stand trug: der über und über mit Schleifen verzierte äußere Rock, bekannt als la modeste , das »Appetitröckchen«, das ungeduldige Liebhaber bremsen sollte, und la secrète , dessen geheimen Spitzensaum Matthieu aber bereits vor einiger Zeit entdeckt hatte. Sein Blick ruhte auf der Schulter der Sängerin, dann ließ er ihn über die Rundung des Halses wandern, bis er ihr schließlich in die Augen sah.
»Warum schaust du mich so an?«
»Du bist einfach göttlich.«
»Und du ein aufgeblasener Möchtegernmusiker, der es wagt, der ersten Sopranistin Honig ums Maul zu schmieren.«
Matthieu strich mit der Hand über ihre nackte Hüfte.
»Gefällt es dir etwa nicht?«
»Du nutzt doch nur aus, dass ich ein unterdrücktes Eheweib bin.«
Die Sopransängerin, Virginie du Rouge, hatte einen Hauptmann der königlichen Leibwache geheiratet, den alle als »den verrückten Gilbert« kannten, einen wesentlich älteren Helden aus dem Dreißigjährigen Krieg, der noch immer den martialischen Anblick eines Soldaten an vorderster Front zur Schau trug: In seinem Gesicht verlief eine Narbe vom rechten Auge bis zum Kinn und zerteilte ihm den Schnurrbart. Um mit diesem Mann ins Bett zu gehen, bedurfte es schon einiger Unerschrockenheit.
»Aber ich werfe mich dir doch zu Füßen«, beteuerte Matthieu. »Wenn du mich jetzt darum bittest, dann schwöre ich dir, dass ich nie wieder für eine andere Frau Geige spielen werde.«
»Mit Schwüren soll man nicht so leichtfertig umgehen.« Sie fasste ihn ein wenig grob am Kinn. »Du bist so schön …«
»Singst du eigentlich nächsten Sonntag im Steingarten von Versailles?«, unterbrach er sie und machte sich von ihr los.
»Wenn ich die Arie anstimme, werde ich einen Moment lang die Hände auf Brusthöhe heben. Es wird so sein, als würdest du mich dort vor allen Menschen streicheln, vor dem König höchstpersönlich.«
Matthieu lehnte sich zurück und sah die Decke an, als wollte er sich von Virginies hungrigem Mund abkehren. Sie fuhr ihm mit der Zunge über die Brust.
»Du hast mich sicher schon bald vergessen«, klagte sie, »und ich weiß nicht, ob ich das ertragen kann.«
Er antwortete nicht und beschränkte sich lediglich darauf, ihre Schenkel zu spreizen, die im Laufe der Zeit nichts von ihrer Festigkeit eingebüßt hatten. Jeder liebkoste Quadratzentimeter Haut – davon war er überzeugt – entsprach einem Zentimeter auf dem Weg zu den »vierundzwanzig Streichern der Königs« oder zumindest zu einem der anderen Palastorchester als erster Schritt in Richtung Ziel. Da gab es die Kapellenmusiker, beinahe achtzig Sänger und Musiker, die Motetten zum Vortrag brachten; die Kammermusiker, die nicht nur die »vierundzwanzig Streicher« und die pétits violons umfassten, sondern auch ein Klavichord, Lauten, Flöten und einige Sänger, und die Stallmusiker, ein größeres Ensemble aus Trompeten, Oboen, Querflöten und Trommeln, das die anderen beiden Gruppen unterstützte, wenn es das Ausmaß des Stückes erforderte, und sonst auch zu jeder Tageszeit im Freien musizierte.
Eine Weile später erhob sich Matthieu aus dem Bett. Er streifte so eilig sein Hemd und die Beinkleider über, die er nicht pludrig, sondern eng anliegend trug, als widere ihn die ganze Szene plötzlich an. Nachdem er seinen nackten Körper endlich verhüllt hatte, nahm er sich für den Rest der Toilette mehr Zeit. Die Sopranistin lag auf dem Bauch da und beobachtete ihn. Sie sah zu, wie der Geiger sich das schwarze Haar mit einem Lederriemen zum Zopf band, sich den Brustlatz langsam zuknöpfte und sich bückte, um die Stiefel anzuziehen. Ihr Blick ruhte auf den Muskeln seiner wohlgeformten Beine, die sich durch den strammen Stoff der Hose abzeichneten. Wie konnte ein so männlicher Körper so süße Melodien hervorbringen? Matthieu hatte kräftige Arme, aber sie endeten in feingliedrigen Fingern, deren ständige Position an die Hände griechischer Statuen erinnerte.
Und nun ließ er sie hier allein zurück, wie immer. Auf dem Gesicht der Sängerin zeichnete sich ein verächtlicher Ausdruck ab.
»Ich würde ja gerne bleiben«, entschuldigte sich Matthieu, »aber …«
»Jetzt hör schon mit den Rechtfertigungen auf. Du bist in Gedanken ganz woanders, wenn du mich berührst. Ich weiß doch genau, wann ich jemanden errege, egal ob es nun ein Adliger ist oder ein arrogantes Bürschchen wie du.«
»Und wie du mich erregst! Du bist schließlich die Königin der französischen
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