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Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Das geheime Lied: Roman (German Edition)

Titel: Das geheime Lied: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrés Pascual
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dahin«, informierte La Bouche Matthieu, um ihn in das Gespräch mit einzubeziehen.
    »Ich dachte eigentlich, es wäre genau umgekehrt«, entgegnete der Musiker. Er versuchte, den Anschein der Normalität zu wahren und so zu tun, als wäre er auf dem Laufenden. »Ich habe gehört, dass Cavelier de La Salle im Namen des Königs ein neues Territorium am unteren Mississippi eingenommen hat.«
    »Dieser arrogante Mistkerl hatte den Einfall, es Louisiana zu nennen, zu Ehren seiner Majestät«, erklärte La Bouche mit unüberhörbarem Neid. »Das ist doch alles nur Schall und Rauch! Wenn wir nicht endlich die immer gleichen Fehler vermeiden, die wir seit unserer Ankunft in Neufrankreich begangen haben, dann werden uns die Engländer davonjagen, und das wäre das Ende unserer Geschäfte dort.«
    »Jetzt übertreib mal nicht«, beschwerte sich Madame Serekunda. Gleichzeitig bedeutete sie dem Personal, die Teller abzuräumen. Ein Diener brachte schon fertig angerichtete Schalen mit Fisch, Reis und Maniok. »Die Nachfrage nach Negern steigt in Neufrankreich sicher bald wieder. Das Gebiet ist so enorm …«
    »Das ist aber kein Segen, sondern gerade die Ursache des Problems! Wir haben so wenige Siedler für so ein riesiges Areal, es ist kaum Geld im Umlauf, und alles wird von Paris aus verwaltet. Nennt man das etwa Effizienz? Unsere Wirtschaft dort beschränkt sich auf den Handel mit Fellen, während die Spanier und Engländer in Bergbau, Viehzucht und Landwirtschaft investieren. Irgendwann wird man uns dort vertreiben wie auch sonst überall.«
    »Hör gar nicht auf ihn«, unterbrach ihn die Mulattin, indem sie sich mit süßer Stimme an Matthieu wandte. »Ich liebe Biberpelz.«
    Sie machte eine Geste, als streichele sie über eine unsichtbare Stola um ihren Hals.
    »Hast du gute Böcke dabei?«, kehrte der Kapitän wieder zum ursprünglichen Thema zurück. »Aus welcher Gegend?«
    »Es sind Diola von der anderen Seite des Flusses.«
    »Diola?«
    »Das ist dieser kleine Stamm, der auf der Flucht vor den Mandinka Richtung Süden gewandert ist …«
    »Das weiß ich, ich würde nur gerne wissen, ob es sich überhaupt lohnt, sie von so weit entfernt herzubringen.«
    »Die Distanz ist groß, aber es wurde uns leicht gemacht. Die Häuptlinge eines Nachbarstammes wollten sie aus dem Weg haben und haben uns den Großteil der Arbeit abgenommen.«
    Der Kapitän nickte.
    »Die Diola sind kräftig und erzielen gute Preise«, erklärte er Matthieu.
    »Inzwischen sieht es etwas anders aus«, korrigierte ihn die Mulattin. »Die Schiffe brauchen so lange, dass ich mich gezwungen sah, einige von ihnen in den Mästungsraum zu stecken.«
    Madame Serekunda sprach von einem Kämmerchen im Lagerhaus, in dem sie zu dürre Sklaven schnell hochpäppelte. Nach den derzeitigen Marktregulierungen konnten sie keine Männer verkaufen, die weniger als sechzig Kilo wogen.
    »Ich brauche keine Muskelprotze, sie sollten nur so kräftig sein, dass sie die Reise überstehen. Von denen kehrt ohnehin keiner von Madagaskar zurück. Was übrig bleibt, schenke ich diesem Heidenkönig.«
    So langsam wurde Matthieu wirklich übel, wenngleich er nicht sicher war, ob es am Essen oder an der Unterhaltung lag. Er starrte schon seit einer Weile nur noch auf seine Schale, weil er das Gefühl hatte, dass ihm irgendein Gewürz den Magen durchbohrte. Auf einmal sah er die Gesichter des Kapitäns und der Mulattin ganz verzerrt.
    »Ich glaube, ich gehe besser einige Minuten an die frische Luft«, entschuldigte er sich.
    »Geht es dir gut?«, fragte Madame Serekunda.
    Matthieu nickte, während er versuchte, die Galerie aufrechten Ganges zu erreichen. Dort musste er sich anlehnen, um nicht zu Boden zu sinken. Er wartete einen Magenkrampf ab, bevor er beschloss, sich ein etwas abgeschiedeneres Plätzchen zu suchen. Rasch stieg er die Treppe hinunter, die in den Hof führte, und wankte hinter ein Mäuerchen. In seinem Kopf drehte sich weiterhin alles, und zwar immer schneller. Er sank auf die Knie und erbrach endlich alles, was er im Magen hatte. Durcheinander und beschämt sah er sich nach beiden Seiten um und stellte fest, dass er im Sklavenlager gelandet war. Er konnte kaum etwas erkennen, da das einzige Licht von den flackernden Flammen der Fackeln an den Wänden stammte. Die Zellen sahen aus wie Höhlen, die man in den Stein gehauen hatte. Nur durch die vergitterte Eingangstür gelangte Luft ins Innere. Es roch nach Urin. Matthieu verspürte den Impuls, weiter in den Gang

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