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Das geheime Prinzip der Liebe

Das geheime Prinzip der Liebe

Titel: Das geheime Prinzip der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hélène Grémillon
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Sterbefälle auf 612 248 Geburten – das ist nicht patriotisch!

    Aber konnte ich etwas dafür, dass unsere Familie das Problem nicht löste?

    Seit fast sechs Jahren versuchten Paul und ich, ein Kind zu bekommen.
    Wir hatten am 16. März 1932 geheiratet. Ich war neunzehn, Paul zwanzig. Die Kirchenglocken , die von unserer Vereinigung kündeten , waren zugleich das Startsignal für die Befruchtung. Heirat und Kinder – in unseren Kreisen ging das eine nicht ohne das andere.
    In der ersten Zeit teilten mir alle Mütter in meiner Umgebung ihre Erfahrungen mit. Am unerträglichsten waren die Schwangeren. Sie bildeten sich ein, sie hätten die Wahrheit gepachtet. Weibliche Solidarität in Sachen Schwangerschaft scheint ebenso in der Natur der Menschen zu liegen wie die Einmütigkeit der Männer beim Lachen über einen unanständigen Witz.
    Anfangs wollten mich alle beruhigen. Ich müsse darauf warten, dass die Natur bereit sei. Es könne nur eine Frage von Monaten sein. Und dann noch der schreckliche Tod unserer Eltern. Man dürfe den Schock nicht unterschätzen...
    Das stimmt, man durfte den Schock nicht unterschätzen.

    In unserer Hochzeitsnacht hatte das Telefon geklingelt. Der Wagen, mit dem unsere Eltern vom Fest nach Hause fuhren, war von der Straße abgekommen. Die Kurve war eigentlich nicht gefährlich, aber unsere Eltern waren betrunken.
    Alle vier waren sofort tot.
    Weder Paul noch ich wollten wissen, wessen Vater am Steuer gesessen hatte. Wir hatten zu große Angst, es uns eines Tages im Streit vorzuwerfen . Ohnehin quälte uns das
Gewissen, weil wir uns an dem Abend in unserer Ungeduld, endlich allein zu sein, nicht einmal die Zeit genommen hatten, uns von ihnen zu verabschieden.
    Danach waren wir vollkommen einsam. Es war entsetzlich und gnadenlos . So viele Abende unserer Ehe gingen im Schluchzen unter.
    Nach der Zeit der gemeinsamen Tränen begannen wir, unseren Kummer voreinander zu verbergen, um nicht den Schmerz des anderen anzufachen. So gingen wieder viele Wochen ins Land. Zwei Wesen mit geröteten Augen, die plötzlich hinausstürzten, um sich heimlich in einem anderen Raum auszuweinen ...
    Es war wie eine Leere und zugleich eine Last, wie ein lang gezogener Absturz, der erst mit einer Schwangerschaft enden würde, so hoffte ich zumindest. Ich betete, dass Kindergeschrei diese makabre Stille zum Schweigen bringen möge . Dass wir in dem Kind etwas von unseren geliebten Eltern wiederfinden würden. In der Form einer Nase, eines Mundes, eines Augenpaars.
    Wie alle, die sich wirklich lieben, waren wir gern zu zweit, doch wir litten darunter, dass uns keine andere Sitzordnung mehr zur Auswahl stand. Dabei waren unsere Familientreffen immer so fröhlich gewesen. Unsere Eltern verstanden sich prächtig, und wir nutzten jeden Anlass, um alle zusammen zu speisen. Es kam sogar vor, dass sie sich ohne uns trafen. Mit dem ihm eigenen Humor hatte mein Vater es sich nicht nehmen lassen, angesichts der Hochzeitstorte auszurufen : »Heute feiern wir keine arrangierte Heirat, sondern eine arrangierte Freundschaft!« Und er hatte sein Glas auf Pauls Eltern erhoben.
    Ich habe mich oft gefragt, ob dieses Glas eines von denen war, die sie töteten.

    Es war wie in einer griechischen Tragödie. Der Fluch des Todes. Und als ich nicht schwanger wurde, schien sich das Schicksal noch heftiger gegen uns zu wenden. Sollten unsere beiden Geschlechter gänzlich von der Erdoberfläche verschwinden? War dies der Wille Gottes?
    Drei Jahre vergingen. Meine Freundinnen hatten alle schon ein Kind. Manche bebrüteten bereits das zweite, während ich weiter mit meiner »schlanken Taille« protzte. Aus forschenden waren mitleidige Blicke geworden. Es war nicht mehr eine Frage der Regel, dass jede Frau nach der Hochzeit in wenigen Monaten schwanger wird, sondern meiner Regel, die jeden Monat erbarmungslos wiederkehrte. Keine Ratschläge mehr, nur Getuschel. Von den Dingen, über die man sprach, ohne dass ich mitreden konnte, war man zu den Dingen übergegangen, von denen man nicht spricht.
    Ich fühlte mich hilflos und entsetzlich einsam. Auch Paul und ich berührten dieses Thema nicht. Ich hatte niemanden, dem ich mich anvertrauen konnte.
    Unser Hausarzt Dr. Pasquin war ein reizender Mann, der allerdings dazu neigte, die Probleme aus seinem Sprechzimmer in sein Esszimmer mitzunehmen.
    »Diese Flunder ist köstlich! Sie ist auch sehr gesund, wissen Sie das, meine Damen? Eine Frau, die Fisch isst, verzehnfacht ihre

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