Das Geheime Vermächtnis
Farbe angenommen, und seine Haut fühlte sich kühler an. Er aß ein wenig Reisbrei, den die Wirtin für ihn zubereitet hatte, und beäugte die Frauen mit einem gelassenen Interesse, das beiden ein Lächeln entlockte. Caroline wickelte ihn in die Häkeldecke, legte ihn in das Tragebett, drückte ihm den Beißring in die dicken Händchen und betrachtete ihn noch einmal genau. Er könnte ihr Kind sein – der Arzt hatte das auf Anhieb geglaubt. Er könnte das Kind einer achtbaren weißen Frau sein – nichts kennzeichnete ihn eindeutig als Ponca. Ja, er hätte ihr Kind sein können, dachte sie. Er hätte ihr Kind sein sollen.
Caroline schob die Rückfahrt zur Ranch hinaus. Sie hätte schon vor Stunden losfahren müssen, bei Sonnenaufgang, doch die Vorstellung, wieder dorthin aufzubrechen, machte sie innerlich so müde, dass sie den Blick von dem schwarzen Einspänner abwandte, der im Hof des Hotels stand, und von dem Pferch, in dem das Kutschpferd die Nacht damit verbracht hatte, Heu zu fressen und den verschwitzten Kopf am Gatter zu reiben. Der Arzt sorgte jetzt für die Kranken, und wenn Caroline zurückkehrte, würde sie William wieder hergeben müssen. Sie dachte an White Clouds Leichnam, dessen sich noch niemand angenommen hatte. Sie dachte an Magpie, hilflos und krank. Sie dachte an das Leben, das sich öde vor ihr hinstreckte, ein leeres Jahr ums andere, ohne Corin. Doch dann sah sie William an, und sie spürte etwas in sich aufsteigen. Etwas, das die anderen Gedanken beiseiteschob und den Gedanken weiterzuleben erträglicher machte. Sie konnte nicht dorthin zurückkehren. Die Aussicht war so dunkel und grauenerregend wie das Grab für Corins Sarg, das Hutch in der Prärie ausgehoben hatte. Sie konnte nicht dorthin zurück.
Auf der anderen Seite der Stadt stiegen Dampfwolken über der Eisenbahnlinie auf. Caroline ging in diese Richtung, den kleinen Koffer in der einen, die Babytrage in der anderen Hand. Sie wankte ein wenig unter der Last, schritt aber dennoch zielstrebig aus. Sie hatte ihren Geist vollkommen geleert, denn ihre Gedanken waren allzu finster. Der Bahnsteig war in Dampfschwaden gehüllt, und der gleiche heiße, metallische Geruch hing in der Luft, der sie damals nach Woodward begleitet hatte. Doch diese gewaltige schwarze Lokomotive blickte in die entgegengesetzte Richtung. Nordwärts, nach Dodge City, Kansas City und darüber hinaus. In die Richtung, aus der sie gekommen war, fort von der Prärie, die ihr das Herz zerrissen hatte.
»Sieh nur, William, siehst du den Zug?«, rief sie aus und hielt den Kleinen hoch, damit er einen Blick darauf werfen konnte. William beäugte den Zug misstrauisch, streckte die Hand aus und versuchte, eine vorübertreibende Dampfwolke zu erhaschen. Dann ließ der schrille Pfiff des Stationsvorstehers sie beide zusammenzucken, und die Räder des Zuges setzten sich langsam und behäbig in Bewegung. Ein Nachzügler rannte zum Gleis, riss eine Waggontür auf und sprang in den Zug, als dieser am Bahnsteig entlangzurollen begann.
»Kommen Sie, Ma’am! Schnell, sonst verpassen Sie noch die Abfahrt!«, rief der Mann lächelnd und streckte ihr die Hand hin. Caroline zögerte kurz. Dann griff sie zu.
6
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Ein Lachen von Meredith war etwas sehr Seltenes. Sogar auf dem Sommerball oder bei den Dinnerpartys, die sie manchmal gab – an denen Kinder nicht teilnehmen durften, weshalb wir uns aus den Betten schlichen, um heimlich zu lauschen –, hörte ich sie so gut wie nie lachen. Sie lächelte nur oder stieß gelegentlich einen einzelnen, befriedigten Laut tief aus ihrer Kehle hervor, wenn ihr etwas gefiel. Wie für die meisten kleinen Mädchen war lachen für mich so selbstverständlich wie atmen. Ich weiß noch, dass ich damals dachte, Lachen sei etwas, das man irgendwie aufbrauchte, während man älter wurde – wie ein Knäuel bunter Bänder, das man in sich trug, und wenn alles abgewickelt war, dann war es damit vorbei.
Doch einmal hörte ich sie lachen, und ich war wie vor den Kopf geschlagen. Nicht nur von dem Ton an sich – schrill und laut mit einem rostigen Beiklang wie von einer alten Türangel –, sondern davon, was ihn hervorgerufen hatte. Es war ein trüber Tag, nicht lange vor Henrys Verschwinden. Eine sanfte Brise wehte. Wir saßen im Wohnmobil von Mickey und Mo, hörten Radio und spielten Rommé mit Dinny, der leichtes Fieber hatte und zu seinem großen Ärger drin nen bleiben musste. Ich versuchte, ihn nach draußen zu locken, damit wir stattdessen oben
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