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Das Geheime Vermächtnis

Das Geheime Vermächtnis

Titel: Das Geheime Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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aber es gelingt mir nicht. »Zuerst dachte ich, sie hätten euch verboten, hierherzukommen. Aber das war für euch immer schon verboten gewesen, und ihr habt euch vorher nie davon abhalten lassen. Dann dachte ich, ihr hättet vielleicht Angst und wolltet nicht darüber reden, was passiert ist. Aber irgendwann habe ich es endlich begriffen: Es war euch einfach gleichgültig.«
    »Das ist nicht wahr! Wir waren doch noch Kinder, Dinny! Was da passiert ist, war … zu gewaltig. Wir wussten nicht, was wir damit anfangen sollten …«
    » Du warst noch ein Kind, Erica. Beth und ich waren zwölf. Das ist alt genug, um zu wissen, wem man die Treue halten will. Hätte es euch umgebracht, mal vorbeizukommen? Nur ein Mal? Mir eure Adresse zu geben, einen Brief zu schreiben?«
    »Ich weiß nicht«, sage ich. »Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich … habe mich in allem nach Beth gerichtet. Selbst jetzt könnte ich nicht sagen, ob ich damals wusste, was wir getan hatten, was passiert war. Ich weiß nicht, wann es einfach aus meinem Kopf verschwunden ist. Ich kann mich kaum daran erinnern, was ich in den Sommern danach gedacht oder getan habe. Und dann sind wir nicht mehr hergekommen.«
    »Tja, kein Wunder. Wenn ihr beide so stumpf und leer durch die Gegend gelaufen seid, muss eure Mutter geglaubt haben, es sei schlecht für euch.«
    »Es war schlecht für uns, Dinny.«
    »Na, siehst du. Was passiert ist, ist passiert. Wir können nichts mehr daran ändern, selbst wenn wir es wollten.«
    »Ich will aber«, murmele ich. »Ich will Beth zurückhaben. Ich will dich wiederhaben.«
    »Du bist einsam, Erica. Das war ich auch, sehr lange. Ich hatte niemanden, mit dem ich über alles reden konnte. Wir müssen wohl annehmen, was uns zugedacht ist.«
    »Wessen Geheimnisse sind das, Dinny, wenn es nicht deine oder meine sind?«
    »Ich habe nie behauptet, dass es nicht deine wären.«
    »Meine und Beths?« Er starrt mich an und bleibt stumm. Ich kann Tränen in meinen Augen spüren, die erstaunlich heiß überlaufen.
    »Aber ich weiß es nicht!«, sage ich leise.
    »Doch. Du weißt es.« Dinny beugt sich zu mir vor. Im schwachen Licht kann ich jede einzelne dunkle Wimper erkennen, scharf umrissen vom orangeroten Glühen aus dem Ofen. »Ich glaube, es wird Zeit, dass du nach Hause und ins Bett gehst«, sagt er.
    »Ich will nicht gehen.« Aber er ist schon aufgestanden. Ich wische mir die Tränen vom Gesicht und sehe, dass meine Hände zornig rot gefärbt sind, mit Matsch unter den Fingernägeln.
    »Die Decke kannst du erst mal behalten. Gib sie mir irgendwann zurück.« Er rollt meine nasse Kleidung zu einem Bündel zusammen und reicht sie mir. »Ich begleite dich zum Haus.«
    »Dinny!« Ich stehe auf und wanke leicht. In dem beengten Raum sind wir nur Zentimeter voneinander entfernt, doch selbst das ist zu weit. Er bleibt stehen und dreht sich zu mir um. Ich finde keine Worte. Ich ziehe die Decke fest um mich, neige mich zu ihm vor und drehe leicht den Kopf, um die Stirn an seine Wange zu schmiegen. Ich trete einen Schritt näher, schließe die Augen, lege ihm eine Hand auf die Schulter und schiebe den Daumen sacht in die zarte Kuhle seines Schlüsselbeins. So bleibe ich drei Herzschläge lang stehen, bis ich seine Arme spüre, die mich umschlingen. Ich hebe das Kinn an, seine Lippen streifen meine, und ich lasse mich in seinen Kuss sinken, unbeholfen vor Begehren. Seine Arme schließen sich fester um mich und schicken meinen Atem fort. Ich würde die Welt anhalten, wenn ich könnte – sie stillstehen lassen, damit ich für immer hierbleiben kann, in diesem halbdunklen kleinen Raum mit Dinnys Lippen auf meinen.
    Er begleitet mich zur schweren Vordertür des Herrenhauses, und als ich sie hinter mir schließe, höre ich etwas, das mich innehalten lässt. Rauschendes Wasser. Das Geräusch hallt schwach die Treppe herunter, und in den Wänden krächzen die Rohre.
    »Beth?«, rufe ich mit klappernden Zähnen. Ich kämpfe mich aus meinen durchweichten Stiefeln und gehe in die Küche, wo Licht brennt. Beth ist nicht da. »Beth! Bist du noch auf?«, rufe ich und weiche vor dem grellen Licht zurück. Das Wasser läuft immer noch und tränkt meine Gedanken mit einer Übelkeit erregenden Unruhe. Ich bemühe mich, den Blick richtig zu fokussieren, denn hier in der Küche stimmt etwas nicht. Irgendetwas lässt mir das Blut in den Schläfen rauschen und trocknet mir die Kehle aus. Der Messerblock liegt auf der Arbeitsplatte, offenbar grob umgestoßen,

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