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Das Geheime Vermächtnis

Das Geheime Vermächtnis

Titel: Das Geheime Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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glauben lassen, er sei tot.«
    »Nein, ich hatte ja keine Ahnung, was du und Beth gedacht habt. Woher hätte ich das wissen sollen? Ihr seid davongelaufen , schon vergessen? Ihr seid weggerannt und habt eure Hände in Unschuld gewaschen! Ihr seid nicht einmal zu mir gekommen, um mich danach zu fragen. Ihr habt ihn bei mir zurückgelassen, und ich … wir … haben getan, was wir für das Beste hielten.«
    Das kann ich nicht bestreiten.
    »Ich war erst acht Jahre alt!«
    »Tja, ich war zwölf – auch nur ein Kind, und ich musste meine Eltern glauben lassen, dass ich beinahe ein anderes Kind umgebracht hätte. Dass ein anderer Junge meinetwegen einen Hirnschaden hat. Zumindest dachte ich, ich müsste das tun. Ich habe es für das einzig Richtige gehalten. Als mir klar wurde, dass ihr beide nicht zurückkommen würdet, war es zu spät, irgendetwas zu ändern. Glaubst du vielleicht, das war lustig?«
    Bei diesen Worten weicht mir das Blut aus dem Gesicht. Ich musste sie glauben lassen … Eine Erinnerung kämpft sich durch den Wirrwarr in meinem Kopf. Henry bückt sich, sucht den Boden ab und sammelt vier oder fünf Steine auf. Ich habe Wasser in den Augen und in einem Ohr, das dröhnt und wabert und ihre Stimmen verzerrt. Henry verhöhnt und beschimpft Dinny; Beth befiehlt mit schriller Stimme: Aufhören! Geh weg! Henry, nicht! Henry rief: Zigeuner! Dreckiger Landstreicher! Diebischer Hund! Vagabund! Mit jedem Schimpfwort schleuderte er einen Stein, kraftvoll aus der Schulter heraus, ein Wurf, den Jungen in der Schule beigebracht bekommen und Mädchen nie. Ein Wurf, der einen Cricket-Ball über das Feld hinausgeworfen hätte, und gut gezielt. Ich erinnere mich, dass Dinny aufschrie, als ihn ein Stein traf, und sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Schulter hielt. Ich erinnere mich, was passiert ist. Und ich sehe Beth vor mir, wie sie gerade eben in der Tür stand – ihren Schrei, der uns gefolgt ist, und das Grauen auf ihrem Gesicht. Nein!
    »Ich muss gehen«, flüstere ich und rappele mich auf.
    »Erica, warte …«
    »Nein! Ich muss gehen!«
    Mir ist schlecht. Da ist zu viel in mir, irgendetwas muss heraus. Ich renne zum Haus zurück und stolpere über die eigenen Füße. In der kalten Toilette im Erdgeschoss, wo einem der eisige Toilettensitz an den Oberschenkeln wehtut, breche ich zusammen und übergebe mich. Aber obwohl meine Kehle brennt und es um mich herum furchtbar stinkt, fühle ich mich irgendwie besser. Als hätte ich meine gerechte Strafe bekommen. Ich fühle mich, als hätte eine Art ausgleichende Gerechtigkeit ihren Lauf genommen. Jetzt weiß ich, was Beth all die Jahre lang gequält hat. Jetzt weiß ich, warum sie sich selbst so bestraft hat, warum sie nach Vergeltung gesucht hat. Ich spritze mir am Waschbecken kaltes Wasser ins Gesicht, schnappe nach Luft und versuche die Kraft zu finden, mich aufzurichten. Mir ist kalt vor Angst – ich glaube, ich weiß, was für eine Vergeltung sie an sich selbst üben könnte.
    »Beth!«, rufe ich und huste, weil meine Kehle so rau ist. »Beth, wo bist du – ich muss dir etwas sagen!« Auf wackeligen Beinen renne ich durch sämtliche Räume im Erdgeschoss. Mein Herz flattert so schnell, dass mir schwindlig wird. »Beth!« Meine Stimme erhebt sich beinahe zu einem Schrei. Ich trampele die Treppe hinauf und renne erst zum Bad, dann weiter den Flur entlang zu Beths Zimmer. Die Tür ist geschlossen, und ich werfe mich dagegen. Drinnen sind die Vorhänge zugezogen, das Zimmer liegt im Dunkeln. Und was ich am meisten fürchte, wovor mir die ganze Zeit gegraut hat, sehe ich hier vor mir. Es füllt mein ganzes Ge sichtsfeld und höhlt mich aus. »Nein!« Ich stürze in das dunk le Zimmer. Meine Schwester liegt zusammengekrümmt auf dem Boden, das Gesicht von mir abgewandt. Ihre zerbrechliche Hand hält eine Schere mit langen Klingen, und um sie herum sehe ich eine dunkle Lache. »Beth, nein«, flüstere ich. Ich habe keine Luft mehr in der Lunge, kein Blut in den Adern. Ich falle auf die Knie und ziehe sie in meine Arme. Sie ist so leicht, so substanzlos. Eine Sekunde lang bin ich wie betäubt vor Schmerz, und dann wendet sie mir das Gesicht zu, und ihre Augen sind offen, blicken klar in meine, und ich lache laut auf vor Erleichterung.
    »Erica?« Ihre Stimme klingt kläglich.
    »Ach, Beth! Was hast du nur getan?« Ich streiche ihr das Haar aus dem Gesicht, und dann wird es mir klar. Sie hat es abgeschnitten, ganz und gar. Der dunkle Fleck auf dem Boden – das sind

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