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Das Geheime Vermächtnis

Das Geheime Vermächtnis

Titel: Das Geheime Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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Wir führten keine großen Gespräche. Wir entblößten weder unsere Seelen voreinander, noch schütteten wir uns gegenseitig das Herz aus. Eddie war noch zu klein, und ich bin zu ungeduldig dazu. Aber wir teilten eine Zeit extremer Unbeholfenheit, konzentrierter Traurigkeit, eine Zeit voller Wut und Verwirrung. Uns beiden ging es so, und wir holperten und quietschten gemeinsam voran. Und deshalb stehen wir uns so nahe – weil wir beide um diese Zeit wissen. Sein Vater Maxwell und ich führten leise, erstickte Streitgespräche hinter verschlossenen Türen, weil Eddie nicht hören sollte, dass sein Vater Beth als untaugliche Mutter bezeichnete.
    Von dem Baumhaus sind nur noch ein paar verwitterte Planken übrig, die dunkelgrün-schleimig aussehen. Wie die verrotteten Knochen eines Schiffswracks.
    »Tja, da ist wohl nicht mehr viel zu machen«, sage ich traurig.
    »Du kannst es doch wieder aufbauen. Ich helfe dir, wenn du willst?«, schlägt Eddie vor, als wollte er mich aufmuntern.
    Ich lächle. »Wir könnten es versuchen. Aber das ist eher etwas für den Sommer – jetzt wäre es da oben ziemlich kalt und schmutzig, glaube ich.«
    »Warum seid ihr irgendwann nicht mehr hierhergekommen, um meine Uroma zu besuchen?« Der arme Eddie, eine ganz unschuldige Frage, um die Anspannung zu überwinden. Aber was für eine Frage er da stellt!
    »Ach, du weißt schon. Wir sind einfach öfter mit unseren Eltern in Urlaub gefahren, als wir dann größer waren. Ich weiß gar nicht so genau, warum.«
    »Aber du sagst doch immer, dass man die wichtigen Dinge, die passieren, wenn man ein Kind ist, nie vergessen wird. Das hast du mir gesagt, als ich den Preis beim Schultheater gewonnen habe.« Ich hatte ihm damit etwas Positives sagen wollen. Doch er gewann diesen Preis, als ich diese zwei Monate bei ihm war, und was wir in diesem Moment beide dachten, war, dass er nie vergessen würde, wie er von der Schule nach Hause gekommen war und Beth gefunden hatte. Ich sah den Gedanken über sein Gesicht huschen, schloss die Augen und wünschte, ich könnte meine Worte wieder aus der Luft fischen.
    »Tja, daran siehst du, dass es nicht so wichtig gewesen sein kann, oder?«, entgegne ich leichthin. »Komm mit – es gibt noch viel mehr zu sehen.«
    Wir gehen zum Haus zurück und schlüpfen in die Orangerie, als es zu schütten beginnt. Von dort aus laufen wir von einem Nebengebäude zum nächsten, fast ohne nass zu werden – durch die alten Stallungen zum Kutschenhaus, das vollgestopft ist mit altem Zeug und überall mit Vogelkot bekleckst. Wir zählen die Schwalbennester, die über unseren Köpfen an den Deckenbalken kleben wie Pilze. Eddie findet eine kleine Axt mit gruselig rotem, verrostetem Blatt.
    »Cool!«, haucht er und schwingt sie in großem Bogen durch die Luft. Ich packe sein Handgelenk und prüfe mit dem Daumen die glücklicherweise völlig stumpfe Klinge.
    »Sei ja vorsichtig damit«, sage ich und sehe ihm fest in die Augen. »Und bring sie nicht mit ins Haus.«
    »Mache ich nicht«, sagt er, schwingt sie erneut und freut sich über das Surren der sich teilenden Luft.
    Draußen wird es dunkler, und es regnet immer heftiger. Ein Rinnsal schlammigen Wassers gurgelt vor dem Tor der Remise vorüber.
    »Gehen wir lieber wieder rein. Deine Mum fragt sich bestimmt schon, wo wir abgeblieben sind.«
    »Sie sollte mit rauskommen und sich das Baumhaus mal ansehen – ob sie meint, dass wir es wieder aufbauen könnten. Glaubst du, sie würde mitkommen?«
    »Ich weiß nicht, Ed. Du weißt doch, wie leicht sie bei so einem Wetter friert«, entgegne ich. Da ist auch nichts zwischen ihren Knochen und der Winterkälte. Kein Fett, keine Muskeln, keine ausreichend dicke Haut.
    Beth backt schon wieder Mince Pies, als wir in die Küche kommen. Sie rollt den Teig aus, schneidet die Förmchen aus, füllt sie, bäckt sie, packt sie ein. Sie hat gestern damit angefangen, eine Vorbereitung für Eddies Ankunft, und sie macht keine Anstalten, wieder damit aufzuhören. Auf dem Küchentisch breiten sich Mehl und Teigreste und leere Gläser Mincemeat-Füllung aus. Es duftet himmlisch. Mit rotem Kopf taucht sie aus dem Holzofen auf und knallt die Bleche mit der nächsten Runde auf die zerschrammte Arbeitsfläche. Sie hat schon jede Keksdose und jeden Plätzchen-Blechkasten im Haus gefüllt. Mehrere Tüten sind bereits in die uralte Gefriertruhe im Keller gewandert. Ich nehme zwei Törtchen vom Backblech und reiche eines an Eddie weiter. Die Füllung verbrennt

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