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Das Geheime Vermächtnis

Das Geheime Vermächtnis

Titel: Das Geheime Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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geärgert oder miteinander gestritten. Vielleicht, weil der Altersunterschied zwischen uns groß genug war. Vielleicht auch, weil wir einen gemeinsamen Feind hatten. Nicht einmal, als wir volle zwei Tage lang drinnen eingesperrt waren, zwei lange, sonnige Tage, gingen wir aufeinander los. Das war Henrys Werk, und Merediths. Meredith hatte uns von Anfang an verboten, mit Dinny zu spielen. Sie verbot uns, mit irgendjemandem aus seiner Familie zu sprechen oder in ihre Nähe zu kommen, nachdem wir ihr beim Nachmittagstee blauäugig von unserem neuen Freund erzählt hatten.
    Wir begegneten ihm am Teich, wo er gerade schwamm. Der Tag war warm, aber nicht heiß. Im Frühsommer war das, glaube ich, die Landschaft war frisch und grün. Eine kühle Brise wehte, und als wir ihn zum ersten Mal sahen, klatschnass, fröstelten wir bei seinem Anblick. Seine Kleider lagen auf einem Haufen am Ufer. Alles. Beth nahm mich bei der Hand, aber wir liefen nicht weg. Wir waren sofort fasziniert. Sofort wollten wir ihn kennenlernen – diesen dünnen, dunklen, nackten Jungen, dem das nasse Haar am Nacken klebte und der da schwamm und tauchte, ganz allein. Wie alt war ich da? Ich bin nicht sicher. Vier oder fünf, höchstens.
    »Wer seid ihr?«, fragte er und trat Wasser. Ich rückte ein Stückchen dichter an Beth heran und packte ihre Hand fester.
    »Unsere Großmutter wohnt da«, erklärte Beth und deutete auf das Herrenhaus. Dinny paddelte näher heran.
    »Aber wer seid ihr?« Er lächelte uns mit blitzenden Zähnen und Augen an.
    »Beth!«, flüsterte ich drängend. »Er hat nichts an!«
    »Psst!«, machte Beth, doch es klang ulkig, weil sie dabei kicherte.
    »Also Beth. Und du?« Dinny sah mich an.
    »Ich bin Erica«, verkündete ich so gelassen wie möglich. In diesem Moment schoss ein braun-weißer Jack-Russell-Terrier aus dem Wald und sprang bellend und schwanzwedelnd auf uns zu.
    »Ich bin Nathan Dinsdale, und das ist Arthur.« Er wies mit einem Nicken auf den Hund. Danach wäre ich ihm überallhin gefolgt. Ich wünschte mir so sehr ein Haustier – ein richtiges Tier, nicht so etwas wie den Goldfisch, den wir hatten, weil zu Hause nicht genug Platz war. Ich war so damit beschäftigt, mit dem Hund zu spielen, dass ich nicht mehr weiß, wie Dinny aus dem Teich kam, ohne dass Beth ihn nackt sah. Ich vermute stark, dass er es gar nicht schaffte.
    Wir trafen uns natürlich weiter mit ihm, trotz Merediths Verbot. Meistens gelang es uns, das geheim zu halten, indem wir erst Henry abschüttelten, ehe wir zu dem Lagerplatz gingen, wo Dinny mit seiner Familie wohnte, ganz am Rand des Anwesens. Henry hielt sich ohnehin lieber fern vom Lager. Er wollte Meredith gegenüber nicht ungehorsam sein und nahm stattdessen ihre Verachtung für die »Fahrenden« auf, hegte sie und ließ sie zu seinem eigenen Hass wachsen. Als sie uns zwei Tage lang einsperrte, waren meine Eltern übers Wochenende weggefahren. Wir gingen mit Dinny ins Dorf, um im Laden Süßigkeiten und Cola zu kaufen. Ich drehte mich um und sah Henry. Er versteckte sich hinter der Telefonzelle, aber nicht schnell genug, und ich spürte ein Kribbeln zwischen den Schulterblättern, während wir zum Haus zurückgingen. Dinny verabschiedete sich und verschwand im Wald, um einen großen Bogen ums Haus zu machen.
    Meredith erwartete uns auf der Vordertreppe, als wir zurückkamen. Henry war nirgends zu sehen. Aber mir war klar, woher sie es wusste. Sie packte uns so fest bei den Armen, dass ihre Fingernägel sich in die Haut bohrten, und beugte sich mit ihrem zornesroten Gesicht dicht über uns. »Wer mit Hunden spielt, holt sich Flöhe«, sagte sie, und die Worte klangen wie abgebissen. Wir wurden nach oben geschleift und gezwungen, in so heißem Wasser zu baden, dass unsere Haut sich zornig rot färbte, und ich heulte und schrie. Beth blieb still, furchtbar wütend.
    Danach, als ich im Bett lag und schluchzte, sprach Beth mir leise Mut zu. »Sie will uns mit dem Hausarrest bestrafen, also müssen wir ihr zeigen, dass uns das gar nichts ausmacht. Dass es uns egal ist. Verstehst du, Erica? Bitte nicht weinen!«, flüsterte sie und strich mir mit immer noch vor Wut bebenden Fingern das Haar zurück. Ich glaube, ich habe genickt, aber ich war zu verstört, um richtig zuzuhören. Draußen war immer noch heller Tag. Ich konnte Henry hören, der auf dem Rasen mit einem der Hunde spielte, und Cliffords Stimme, die undeutlich durch die Bodendielen drang. Ein herrlicher Augustnachmittag, und wir waren

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