Das Geheime Vermächtnis
ins Bett gesteckt worden. Eingesperrt für das ganze Wochenende.
Als unsere Eltern zurückkamen, erzählten wir ihnen alles. Dad sagte: »Das geht zu weit, Laura. Diesmal meine ich es ernst.« Freude flackerte in mir auf, Liebe zu meinem Vater.
Mum sagte: »Ich rede mit ihr.«
Vor dem Tee hörte ich sie in der Küche, Mum und Meredith.
»Er scheint ein netter Junge zu sein. Recht vernünftig. Ich kann wirklich nichts Schlimmes daran finden, Mutter«, sagte Mum.
»Nichts Schlimmes daran finden? Willst du etwa, dass die Mädchen anfangen, diesen grässlichen Wiltshire-Dialekt zu sprechen? Willst du, dass sie das Stehlen und Fluchen lernen? Willst du, dass sie verlaust und entwürdigt nach Hause kommen? Ja, wenn das so ist, kann man wirklich nichts Schlimmes daran finden«, entgegnete Meredith kalt.
»Meine Mädchen würden niemals stehlen«, erklärte Mum bestimmt. »Und ich finde, entwürdigt ist nun wirklich übertrieben.«
»Das finde ich nicht, Laura. Hast du vielleicht vergessen, wie viel Ärger uns diese Leute über die Jahre hinweg gemacht haben?«
»Wie könnte ich das vergessen?« Mum seufzte.
»Tja, es sind deine Kinder …«
»Ja, das sind sie.«
»Aber wenn sie unter meinem Dach wohnen sollen, in meiner Obhut, dann werden sie sich an meine Regeln halten müssen«, herrschte Meredith sie an.
Mum holte tief Luft. »Wenn ich je wieder zu hören bekomme, dass sie irgendwo eingeschlossen wurden, werden sie überhaupt nicht mehr hierherkommen, und David und ich auch nicht«, sagte sie ruhig, doch ich hörte die Anspannung darin. Beinahe ein Beben. Meredith sagte nichts darauf. Ich hörte ihre Schritte in meine Richtung kommen und rannte davon. Als die Luft rein war, ging ich zu meiner Mutter hinein, die still und konzentriert mit feuchten Augen Geschirr spülte. Ich schlang die Arme um ihre Beine und drückte sie fest. Meredith war es danach nicht weniger zuwider, wenn wir mit Dinny spielten, aber wir wurden nie wieder in unserem Zimmer eingesperrt. Zumindest in diesem Punkt hatte Mum gewonnen.
Der Montagmorgen ist bleigrau und nass. Meine Fingerspitzen und Zehen waren eiskalt, als ich aufgewacht bin, und sie sind es geblieben. Jetzt auch noch meine Nasenspitze. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt so gefroren habe. In London kommt das einfach nicht vor. Da ist die feuchte Wärme in der U-Bahn, die warmen Luftschwaden aus Läden und Cafés. Es gibt unzählige Orte, an denen man Zuflucht vor jedem Absinken der Außentemperatur findet. Ich bin in der Orangerie auf der Südseite des Hauses, von wo man auf eine kleine Wiese mit knorrigen Obstbäumen hinausschaut. Wenn wir zu laut spielten, wenn wir Merediths Geduld strapazierten, wurden wir hierhergeschickt, auf die kleine Wiese, während die Erwachsenen an einem weißen Eisentisch auf der Terrasse an der Westseite saßen und Eistee und Wodka tranken. Meine einzige Gesellschaft hier drin sind die verdorrten Überreste einiger Tomatenpflanzen und eine Kröte, die dick neben dem Wasserhahn hockt. Grünliches Wasser tropft daraus auf eine Pfütze voller Entengrütze. Ich hatte die unglaubliche Stille auf dem Land vergessen, und sie macht mich nervös.
Es ist noch früh, und hier drin ist es feucht– ein fruchtbarer Geruch, der Jahreszeit zum Trotz. Eine meiner frühesten Erinnerungen an Henry, der damals acht oder neun gewesen sein muss: Wir waren auf der kleinen Wiese, ich war ungefähr fünf. Es war ein heißer Augustnachmittag in einem jener Sommer, die endlos lang schienen. Das Gras war unter der stechenden Sonne gelb vertrocknet, die Steine der Terrasse waren zu heiß für nackte Füße, die Hunde zu matt zum Spielen. Meine Nase schälte sich, und Beth hatte Sommersprossen auf den Armen. Sie bauten für uns auf der kleinen Wiese eines dieser Planschbecken auf. Es war so groß, dass man über eine kleine Leiter hineinklettern musste, und die weite Fläche aus blauer Plastikplane darin war schon verlockend, ehe noch Wasser drin war. Ich kann den heißen Kunststoff noch heute riechen. Das Becken wurde aufgebaut, die Plane glatt gestrichen und trotz des Verbots wegen der Dürre ein Wasserschlauch hineingehängt. Das Wasser kam direkt aus der Hauptleitung und war eiskalt auf unserer verbrannten Haut. Es erzeugte eine himmlische Taubheit. Ich zappelte in meinem roten Badeanzug herum und wünschte mir so sehr, das Becken möge sich schneller füllen.
Henry kletterte sofort rein, mit Gras an den Füßen, das kurz darauf im Wasser trieb. Er nahm
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