Das Geheime Vermächtnis
Himmel unendlich hoch. Er macht einen ganz schwindlig, der viele Raum da oben. Und Beth hat gesagt, dass sie mitkommen wird – so strahlend ist dieser Tag.
Als ich ihr erzählt habe, dass Dinny da ist, ist sie erstarrt. Einen Moment lang bekam ich richtig Angst. Sie schien nicht einmal zu atmen. Das Blut hätte ihr in den Adern gefroren, ihr schlagendes Herz verstummt sein können, eine solche Stille ging von ihr aus. Einen langen, sehr langen Moment wartete ich und beobachtete sie und versuchte zu erraten, was als Nächstes kommen würde. Dann wandte sie den Blick von mir ab und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Unterlippe.
»Wir wären uns inzwischen fremd«, sagte sie und ging langsam in die Küche. Sie fragte nicht, wie er jetzt aussah, was er hier tat. Und ich merkte, dass ich nichts dagegen hatte, es ihr nicht zu erzählen. Ich hatte nichts dagegen, es für mich zu behalten. Die Worte, die er gesprochen hatte, ganz für mich in meinem Kopf zu bewahren. Sie zu besitzen. Beth war wieder entspannt, als ich ihr nachging, wir kochten Tee, und ich tunkte Hobnobs in meinen Becher. Aber sie aß an dem Abend nichts. Weder einen Keks noch den Teller Risotto, den ich vor sie hinstellte, oder das Eis zum Nachtisch.
Heute ist der zwanzigste Dezember. Die Autoscheiben beschlagen, während ich nach Osten durchs Dorf fahre, und dann nach Norden auf die A361.
»Nur noch ein Tag, Leute, und dann geht es wieder aufwärts, in den Frühling!«, verkünde ich und bewege meine Finger, die in den Handschuhen steif vor Kälte sind.
»Du kannst doch den Winter nicht wegwünschen, ehe Weihnachten war«, mahnt Eddie.
»Wirklich? Nicht mal dann, wenn meine Hände am Lenkrad festgefroren sind? Sieh her, ich versuche, loszulassen, aber es geht nicht! Festgefroren – da, schau!« Eddie lacht mit mir.
»Das Lenkrad festzuhalten, während du Auto fährst, könn te man durchaus für gut befinden«, bemerkt Beth trocken vom Beifahrersitz.
»Na, dann ist es wohl ein Glück, dass ich daran festgefroren bin.« Ich lächle und nehme die Abfahrt nach Avebury. Eddie nimmt dieses Halbjahr die Vorgeschichte durch. Wiltshire strotzt nur so davon. Wir parken, lehnen das Angebot ab, dem National Trust beizutreten, und schließen uns stattdessen den Grüppchen von Leuten an, die den Pfad zu den Steinen entlanggehen. Der Boden glitzert, der Sonnenschein ist überwältigend.
An diesem schönen Samstag sind viele Leute in Avebury, alle so dick eingepackt wie wir, formlos und dunkel, die sich zwischen den uralten Sarsensteinen hindurchbewegen. Sie stehen in zwei konzentrischen Kreisen, nicht so hoch wie Stonehenge, nicht so prächtig und streng geordnet, doch die Ringe sind viel, viel größer. Eine Straße führt zwischen ihnen hindurch, das halbe Dorf ist dazwischen verstreut, wenngleich die kleine Kirche züchtig außerhalb steht. Mir gefällt diese Anordnung. All diese Leben, die vielen Jahre, an einem Ort angehäuft. Wir gehen ganz um den Kreis herum. Beth liest aus der Infobroschüre vor, aber ich bin nicht sicher, dass Eddie zuhört. Er hat wieder einen Stock in der Hand. Er ficht mit irgendjemandem in seinem Kopf einen Schwertkampf aus, und ich wünschte, ich könnte sehen, mit wem. Barbaren vielleicht? Oder jemand aus der Schule?
»Der Steinkreis von Avebury ist einer der größten in Großbritannien im drittgrößten Henge der britischen Inseln. Mit dem Erdwall umfasst die Anlage ein Gebiet von elf Komma fünf Hektar …«
»Beth!«, schreie ich auf. Sie kommt dem Rand des Grabens zu nahe. Das Gras ist rutschig vom geschmolzenen Raureif.
»Huch.« Sie korrigiert ihren Kurs mit einem leisen Lachen.
»Eddie, ich frage dich nachher darüber aus!«, rufe ich. In der stillen Luft ist es eher ein Plärren. Ein älteres Ehepaar dreht sich nach mir um. Ich will doch nur, dass er Beth zuhört.
»Für den Abbau der Steine wurden Geweihhacken, Schul terblätter von Ochsen und vermutlich hölzerne Schaufeln und Körbe benutzt …«
»Cool«, kommentiert Eddie pflichtbewusst. Wir kommen an einem Baum vorbei, der in den äußeren Wall eingewachsen ist. Seine Wurzeln ergießen sich über den Rand hinab wie ein knorriger Wasserfall. Eddie rutscht in bester Abenteurer-Manier hinunter, duckt sich, klammert sich an den Wurzeln fest und späht aus drei Metern Tiefe zu uns hoch.
»Bist du ein Elf?«, fragt Beth.
»Nein, ein Wegelagerer, der euch auflauert, um euch zu berauben«, erwidert er.
»Ich wette, du kriegst mich nicht, ehe ich mich hinter
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