Das Geheime Vermächtnis
geht!«, beruhigte er sie und strich ihr über das tränennasse Gesicht.
»Ich brauche Hilfe«, sagte sie kläglich, und als sie es endlich eingestanden hatte, wurde die Last auf ihren Schultern leichter. »Dann sollst du Hilfe bekommen«, versprach Corin zärtlich und raunte ihr sanfte Liebesworte zu, bis ihre Tränen endlich versiegten.
Also wurde Magpie dafür rekrutiert, bei der Hausarbeit zu helfen. Caroline wusste zwar nicht recht, ob sie das Ponca-Mädchen den ganzen Tag lang bei sich im Haus haben wollte, doch Magpie ging mit bereitwilligem Lächeln an die Arbeit und packte alles mit der Selbstverständlichkeit einer Frau an, die dazu geboren war. Caroline überließ ihr nur zu gern das Kochen und sah zu, wie aus alten Knochen und getrockneten Bohnen eine dicke, köstliche Suppe wurde. Brotteig ging bereitwillig zwischen feuchten Tüchern auf, wenn man ihn auf das Fensterbrett in die Sonne stellte. Ein paar Büschel geheimnisvoller Kräuter, auf der Prärie gesammelt, verliehen Saucen einen herzhaften Geschmack. Das Waschen dauerte nicht halb so lang wie zuvor, und die Wäsche wurde dazu sogar noch sauberer. Magpie erledigte die schwe reren Arbeiten, holte Wasser und trug die nasse Wäsche zur Leine hinaus, sodass Caroline zum ersten Mal seit ihrer Ankunft tagsüber ein wenig Zeit fand, sich hinzusetzen und zu lesen oder mit der Näharbeit anzufangen. Sie hatte nicht erwartet, irgendetwas anderes als Entlastung zu empfinden, wenn jemand anderes diese Aufgaben übernahm, doch zugleich beneidete sie Magpie um die Leichtigkeit, mit der sie alles erledigte. Magpie war bei der Arbeit immer gut gelaunt und lehrte Caroline vieles auf überaus taktvolle Weise. Nie deutete sie an, dass Caroline etwas selbst wissen müsste, oder gab ihr das Gefühl, unzulänglich zu sein, daher war es ihr unmöglich, dem Mädchen zu grollen.
Aber es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren, wenn Magpie im Haus war. Die junge Frau zog ihren Blick auf sich, und sie sang bei der Arbeit leise vor sich hin – seltsame Melodien, wie Caroline sie noch nie gehört hatte, so fremdartig und unheimlich wie die Stimmen der Kojoten. Dabei bewegte sie sich so leise, dass Caroline sie kaum hörte. Eines Morgens saß sie gerade über ihrer Näharbeit und stickte eine zierliche Blumengirlande in die Ecke eines Tischläufers, als sie jemanden hinter sich spürte. Sie blickte sich um und sah Magpie unmittelbar neben ihrer Schulter stehen und ihre Arbeit begutachten.
»Sie sticken sehr schön, Mrs. Massey.« Sie lächelte und nickte anerkennend.
»Oh … danke, Magpie«, sagte Caroline atemlos, denn Magpies plötzliches Erscheinen hatte sie erschreckt. Die Sonne fiel auf den langen Zopf der jungen Ponca und entlockte ihm nicht den geringsten Schimmer von Rot oder Braun. Ihr Haar war so schwarz wie ein Rabenflügel. Caroline fiel auf, wie dick es war und dass es glänzte wie Tinte, und sie fand es ein wenig vulgär. Mit ihrem runden Gesicht und den breiten Wangenknochen ähnelte Magpie beinahe den Chinesinnen, die Caroline gelegentlich in New York gesehen hatte, wenngleich Magpies Haut dunkler und rötlicher war. Caroline konnte ein leichtes Schaudern nicht unterdrücken, als sich ihrer beider Arme versehentlich streiften. Doch die junge Frau faszinierte sie, und sie ertappte sich immer wieder dabei, wie sie Magpie bei der Arbeit beobachtete. In der Hitze des Tages, wenn Caroline Schweißperlen auf der Stirn standen und die Haut unter ihrer Kleidung juckte, schien Magpie nichts davon zu spüren. Die Sonne konnte ihr nichts anhaben, und auch darum beneidete Caroline sie.
An einem solchen erstickend heißen Tag, als Caroline glaubte, sie werde den Verstand verlieren, wenn sie nicht bald Erleichterung fand, ging sie ins Schlafzimmer, schloss die Tür, zog Bluse und Korsett aus und warf beides auf den Boden. Sie blieb still sitzen und spürte die relativ kühle Luft an ihrer klebrigen Haut. Langsam wich der Schwindel, der sie den ganzen Vormittag lang verfolgt hatte. Es war so feucht, die Luft so drückend, der Himmel so blendend, gleißend hell, dass Caroline das Gefühl hatte, ihr Blut koche halb geronnen in ihren Adern. Als sie sich wieder ankleidete, ließ sie das Korsett weg. Niemand schien es zu bemerken, und in der Tat gab es auch nicht viel zu bemerken. Die Hitze und ihre eigene miserable Küche hatten ihr den Appetit geraubt, und die harte Arbeit hatte das Ihre dazugetan. Unter ihrem starren Unterkleid war Caroline sehr dünn geworden.
Einige
Weitere Kostenlose Bücher