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Das Geheime Vermächtnis

Das Geheime Vermächtnis

Titel: Das Geheime Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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Tage später setzte der Regen ein. Es regnete, als sei der Himmel furchtbar wütend auf die Erde und wollte ihr wehtun. Der Regen war ein Guss, keine Tropfen, sondern harte Ruten aus Wasser, die wie Lanzen aus den dräuenden Wolken fielen und den Boden zu einer Suppe aufrührten, die zum Toad Creek abfloss. Das bescheidene Flüsschen verwandelte sich in einen zornigen Sturzbach. Die Pferde standen stoisch da, eines die Nase am Schweif des nächsten, und Wasser rann aus ihren Mähnen. Draußen auf der Weide legten die Kühe sich nieder und kniffen die Augen zusammen. Corin war mit Hutch in Woodward – sie hatten siebenhundert Rinder zu den Verladepferchen getrieben, und Caroline lag am frühen Abend im Bett und betete so innig sie konnte, dass der North Canadian nicht über die Ufer treten, nicht zu lange Hochwasser führen und somit Corins Heimkehr nicht verzögern möge. Sie ließ die Fensterläden offen, lauschte dem Regen, der auf das Dach über ihr hämmerte, und wartete mit ausgebreiteten Armen darauf, dass die Luft, die durchs Fenster hereinschlich, endlich kühler wurde, dass das Wasser die Hitze wegwusch.
    Es klopfte leise an der Tür, und Magpie erschien.
    »Was ist passiert?«, fragte Caroline abrupt und setzte sich erschrocken auf.
    »Nichts ist passiert, Mrs. Massey. Ich habe etwas für Sie. Das bringt Erleichterung«, sagte das Mädchen. Caroline seufzte und strich sich das verschwitzte Haar zurück.
    »Nichts kann mir Erleichterung verschaffen«, murmelte sie.
    »Kommen Sie, versuchen Sie es«, drängte Magpie. »Es ist nicht gut, wenn Sie sich zu viel hinlegen. So gewöhnen Sie sich nie an alles«, beharrte sie, und Caroline quälte sich auf die Füße und folgte der jungen Ponca in die Küche. »Wassermelone. Die erste dieses Sommers! Kosten Sie.« Magpie reichte Caroline einen dicken Schnitz von der Frucht: ein blutroter Halbmond, der ihre Finger klebrig machte.
    »Danke, Magpie, aber ich habe wirklich keinen Hunger …«
    »Kosten Sie«, wiederholte Magpie bestimmt. Caroline sah sie an, begegnete dem Blick ihrer blitzenden schwarzen Augen und sah darin nur Wohlwollen. Sie knabberte an der Melone. »Schmeckt gut, oder?«
    »Ja«, gab Caroline zu und nahm größere Bissen. Die Melone war weder süß noch scharf. Sie schmeckte mild und erdig und linderte sanft das ausgedorrte, wunde Gefühl in ihrer Kehle.
    »Und trinken Sie das.« Magpie reichte ihr einen Becher Wasser. »Regenwasser. Geradewegs vom Himmel.«
    »Na, daran herrscht heute kein Mangel!«, scherzte Caroline.
    »Das ist Wasser vom Land, das ist Wasser vom Himmel«, erklärte Magpie und deutete erst auf die Frucht und dann auf den Becher. »Diese Dinge zu essen und zu trinken bringt Sie … bringt Sie ins Gleichgewicht mit dem Land und dem Himmel. Verstehen Sie? Dann fühlen Sie sich nicht mehr so sehr, als würden Sie bestraft. Sie werden sich als Teil dieses Landes und dieses Himmels fühlen.«
    »Das wäre schön. Sich nicht bestraft zu fühlen.« Caroline lächelte schwach.
    »Essen Sie mehr, trinken Sie mehr«, ermunterte Magpie sie und erwiderte ihr Lächeln. Sie saßen zusammen am Küchentisch, während draußen der Regen zischte, und der Melonensaft rann ihnen übers Kinn. Und bald spürte Caroline, wie eine himmlische Kühle sich aus ihrem Innersten nach draußen ausbreitete und die fiebrige Hitze von ihrer Haut spülte.
    Es gab auf der Ranch eine falbfarbene Stute namens Clara, die kurze, schlanke Beine, einen kompakten Körper, Rippen wie ein Fass und einen etwas dürren Hals hatte. Sie war recht betagt und hatte Corin ein halbes Dutzend Fohlen geschenkt. Ihre Fohlen waren alle gute Reitpferde geworden, bis auf eine einzige Ausnahme – ein Hengstfohlen, das nicht ganz richtig im Kopf war, nicht gezähmt werden konnte und mehreren guten Zureitern die Knochen brach, ehe sein Herz schließlich unter der Anstrengung seiner eigenen Raserei versagte.
    »Clara hat an dem Tag ganz traurig den Kopf hängen lassen, obwohl dieser Bronco da schon auf der anderen Seite von Woodward war«, erzählte Hutch Caroline, während sie vorsichtig das knochige Gesicht der Stute streichelte. Der durchdringende Gestank des Pferdes und des ledernen Zaumzeugs wurde von der Morgensonne verstärkt. Caroline spähte aus dem Schatten ihrer Haube zu dem Vorarbeiter hinauf. Hutchs Augen waren helle Schlitze zwischen den gerunzelten Brauen und den Krähenfüßen, die sich über seine Schläfen zogen. Diese Spuren in seinem Gesicht waren tief eingegraben,

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