Das Geheimnis am goldenen Fluß
K’un-Chiens und Masons Freundschaft wuchs. Und alles wurde noch komplizierter dadurch, dass Tree nicht anders konnte, als K’un-Chien zu mögen. Dies war der Teufelskreis, in dem sie sich befand: Eifersucht, Wut wegen der eigenen Eifersucht, obsessives Ankämpfen gegen die eigene Eifersucht, Niedergeschlagenheit und dadurch ein noch stärkeres Gefühl der Bedrohung durch die Teenager-Göttin, was wiederum neue Eifersucht und neue Selbstverachtung heraufbeschwor. Zu dieser bösen Mixtur noch die ständige Angst, zur Oberhölle verbannt zu werden.
Au. Tree fasste sich an den Bauch. Sie war sicher, dass sie ein Magengeschwür bekam.
Ich kann mich ja von K’un-Chien kurieren lassen. Ironischer Gedanke, aber wahr.
Sie beobachtete, wie K’un-Chien mit langsamen, anmutigen Schritten durch die Menge glitt, ihr langes schwarzes Haar wie eines Malers breiter, hinabführender Pinselstrich auf einer ungebleichten Leinwand.
Hsiang K’un-Chien, Parfüm des Erdenhimmels. Sie war gütig. Dies war ihre große Gabe als Heilerin. Trotz der Schande und Ablehnung, die sie von allen erfuhr, kamen Frauen aus der ganzen Stadt heimlich zu ihr, um sich behandeln zu lassen, und K’un-Chien wies niemanden zurück, selbst die nicht, von denen sie in der Öffentlichkeit gedemütigt wurde. Tree spürte, dass hinter K’un-Chiens gütigen blauen Augen eine ungeahnte Stärke im Verborgenen lag.
Mason schaute zurück. »K’un-Chien«, rief er. »Ohne dich sind wir verloren.«
K’un-Chien lächelte und schloss zu ihnen auf. »Ja, May-Son.«
Nachdem Mason wochenlang seinen Mandarin-Wortschatz vergrößert hatte, begann er plötzlich fließend zu sprechen. Nun unterhielt er sich mühelos mit K’un-Chien, während sie vor einem Stand verweilten, der alle nur erdenklichen Pilzsorten feilbot: große weiße Bauchpilze, winzige Erdsterne, Morcheln, Austernpilze und unzählige weitere, die Tree noch nie gesehen hatte, nicht mal in botanischen Nachschlagewerken. Sie wünschte, dass sie ihre Nikon dabei hätte oder dass sie so gut zeichnen könnte wie Audubon.
»… der ständige Nebel«, sagte Mason. »Wenn die Pilze gut sind, gelangen sie hierher, wenn sie sterben.«
K’un-Chien runzelte die Stirn. »Du denkst dir seltsame Dinge aus, May-Son. Manchmal glaube ich, dass du dich über mich lustig machst.«
Tree seufzte. Wenn ich Mason wäre, würde ich auch glauben, dass ich mich langsam in sie verliebe.
K’un-Chien deutete auf einen großen orangefarbenen Schwammpilz, der wie ein runder Block Cheddarkäse aussah – dieselbe Sorte, die sie auf dem Hochplateau gesehen hatte.
»Also ist er essbar«, sagte Tree. Die Straßenhändlerin war eine weißhaarige Frau, deren Gesicht und Hals ebenso faltig waren wie die Lamellen ihrer Pilze. Tree bat um eine Kostprobe des orangefarbenen Schwammpilzes. Das zarte Fleisch schmeckte süß wie eine gebackene Yamswurzel, hinterließ aber einen scharfen metallischen Nachgeschmack.
»Wie schmeckt es?«, fragte Mason.
»Als würde man eine Kupfermünze lutschen.«
»Ich verzichte.«
K’un-Chien bemerkte den abfälligen Tonfall. »Ich mag sie auch nicht. Wenn man sie kocht, hängt tagelang ein süßlicher Gestank in der Küche.«
Die nächsten beiden Stände verkauften Decken aus Alpaka- und Guanacowolle und Chinchillapelz. Dann näherte sich das Trio einer Reihe von Garküchen, deren Speisen eine eigenartige Mischung aus appetitmachenden Düften verströmte.
Am ersten Stand brutzelten in einem Wok segmentierte Ovale von der Größe brasilianischer Nüsse in einem Spritzer Erdnussöl. Mit überlangen Essstäbchen rührte eine alte Frau gehackten Knoblauch, Ingwer und ganze Chilischoten hinein.
Mason warf K’un-Chien einen fragenden Blick zu.
»Verpuppte Seidenraupen«, sagte K’un-Chien.
Die alte Köchin lächelte, ihre Zähne rot-schwarz gefleckt vom Betelnusskauen. »Möchten Sie probieren?«
»Warum nicht?«, sagte Mason und ließ sich von der Frau eine knusprig gebratene Seidenraupe geben. Er biss in die Schale. »Ooo. Die Füllung schmeckt ziemlich ölig.«
»Ekelhaft«, sagte Tree.
»Du hast auch Mondkuchen eklig gefunden, bis du ihn probiert hast.«
»Mag sein, aber mir ist heute nicht nach Ungeziefer.«
Mason schob den Rest der Seidenraupe in den Mund, zerkaute sie und schluckte sie hinunter. K’un-Chien und die alte Köchin aßen ebenfalls jeweils eine und spuckten die Schalen auf den Boden.
»Ups«, sagte Mason. »Ich hätte erst den Experten zuschauen sollen.«
Am nächsten
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