Das Geheimnis am goldenen Fluß
kopflosen Schweinen und Ziegen hingen. Irisierende Schmeißfliegen liefen auf klebrigem Blut im Kreis. Einen der gehäuteten Leiber erkannte Tree nicht, bis ihr die drei Vorderzehen und die drei Zehen an den Hinterbeinen auffielen: ein Dreizehen-Faultier. In gestapelten Bambuskäfigen lagen lebende Meerschweinchen, Chinchillas, Gürteltiere, Ameisenbären, Mäuse, Wickelbären und Fledermäuse, fertig zum Schlachten.
Nahebei standen waschkübelgroße Holztröge, in denen Fische schwammen, deren Schuppen durchsichtig wie Glas waren; ihre Muskeln und Organe waren so deutlich zu erkennen wie pastellfarbene Nudeln in einem Küchenglas. Fasziniert beobachtete Tree das Schlagen der eichelgroßen roten Herzen.
»K’un-Chien, stammen die Fische aus der Flusshöhle im Berginnern?«
»Ja, Erste Frau. Deswegen haben Glasfische keine Augen.«
Eine dunkelhäutige Frau mit fleckigen Zähnen hob einen dreißig Zentimeter langen Fisch in ein Netz und bugsierte das wild zappelnde Tier in den wassergefüllten Eimer einer Kundin. Danach verkaufte sie einer anderen Kundin einen dicken Glassalamander.
Am nächsten Stand kochte Wasser in einem gusseisernen Kessel. Eine schwarze Hand mit langen Fingern hing über den Rand. Erschrocken wich Tree einen Schritt zurück, obwohl sie als Mädchen in Nanjing des öfteren Garküchen gesehen hatte, die lebend gekochte Affen anboten.
»Daran werde ich mich nie gewöhnen«, sagte sie zu Mason. »Sie sehen so menschlich aus.«
»Ganz deiner Meinung. Spinnenaffe.« Er verzog das Gesicht. »Schrecklich.«
Tree war froh, dass K’un-Chien ihnen meistens Gerichte aus Körnern, Gemüsen, Früchten und Nüssen zubereitete. Tree war ein großer Esser, aber keine große Köchin. Mason hatte verschiedene Lieblingsgerichte, zum Beispiel Chili con Carne, aber als er K’un-Chien einmal angeboten hatte, ihr beim Kochen zu helfen, war sie so erstaunt und verlegen gewesen, dass er beschloss, ihr das Kochen zu überlassen. Jede der von ihr zubereiteten Speisen war ein köstliches Feinschmeckermenü.
Tree klopfte sich auf ihre festen Bauchmuskeln unter einer dünnen Fettschicht. Mason hatte ihr immer gesagt, wie unwiderstehlich sexy ihr Bauch sei. Glücklicherweise war es kaum möglich, von vegetarischem chinesischem Essen fett zu werden.
K’un-Chien erstand Süßpflaumen und Rosenäpfel, Bael-Früchte und Goa-Bohnen, tropische Yams, Tamarinde und süßes Palmenfleisch. Die Einkäufe bezahlte sie mit scharlachroten Schoten, Liebessamen genannt, die in Form und Größe den Schoten grüner Bohnen glichen. Die Straßenhändlerinnen schienen sie den Geldscheinen aus Reispapier vorzuziehen, und K’un-Chiens Schoten waren am gefragtesten, so dass sie weit weniger von ihnen ausgeben musste als andere Kundinnen. Tree war aufgefallen, dass Schoten, an denen ein flockiger rosafarbener Schimmel klebte, denselben Wert hatten wie ein Dutzend glatter Schoten, und K’un-Chiens waren alle flockig rosa.
Vor Wochen hatte Tree K’un-Chien nach den Liebessamen als Zahlungsmittel gefragt, und K’un-Chien hatte mit niedergeschlagenen Augen geantwortet: »Am kostbarsten sind sie im Tempel-der-Gebetsmatte.«
Mason hatte nur mit den Schultern gezuckt. »Ist nicht seltsamer als Wampun«, hatte er angemerkt, »oder Perlen oder Muscheln oder Zähne oder irgendeiner der Gegenstände, die fremde Kulturen als Zahlungsmittel verwenden.«
Doch in K’un-Chiens Verlegenheit hatte eine verborgene Botschaft gelegen, die Tree auf dieselbe Weise beunruhigte wie ihre Vision. Sie fragte sich, ob die Liebessamen etwas mit Sex zu tun hatten; war es vielleicht ein sexuelles Ritual, auf das K’un-Chien angespielt hatte? Diese niedrigen Sofas und Kissen in der inneren Kammer des Tempels-der-Gebetsmatte – in einer Stadt namens Gebetsmatte-des-Körpers –, sie bezweifelte, dass die Sofas für zeremonielle Mittagsschläfchen genutzt wurden.
Waren die Liebessamen essbar oder nur eine symbolische Liebesspeise? Möglicherweise enthielten sie ein Aufputschmittel oder ein Aphrodisiakum. Wenn ja, waren sie vielleicht die Lösung für Masons Potenzproblem.
Tree nahm Masons Hand. Sein Griff war fest und entschlossen. Ihr Körper erinnerte sich an Masons Körper auf ihrem, an seine Kraft und Hitze und seinen männlichen Duft, an den Geschmack seines Mundes und seiner Haut. Ihr Bauch begann zu kribbeln, und ein brennendes Verlangen durchströmte sie, als sie sich ausmalte, welchem Zweck die Sofas im Tempel-der-Gebetsmatte dienten.
»Warum sind
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