Das Geheimnis am goldenen Fluß
Hand, wo K’un-Chien gedrückt hatte. »Er befreite mich von meinen chronischen Kopfschmerzen, aber mir wurde nie erklärt, wie es funktioniert.«
K’un-Chien verneigte sich. »Gestatte mir, es zu versuchen, Erste Frau.«
»Bitte.«
»Es gibt feine Energieströme, die auf bestimmten Bahnen den Körper durchfließen«, sagte K’un-Chien. »Wenn eine dieser Bahnen beschädigt oder blockiert ist, kommt der Energiestrom zum Erliegen.« Sie ballte ihre Hand zur Faust. »Schmerz ist das Resultat.
Indem man entlang der Bahnen bestimmte Stellen massiert – man nennt sie tsubos, Pforten –, kann man diese Kanäle wieder öffnen und den natürlichen Energiefluss des Körpers wieder herstellen.« Sie öffnete die Faust und ließ ihre schlanken Finger in Wellenbewegungen durch die Luft gleiten. »Der Schmerz vergeht.«
»Das ist faszinierend«, sagte Mason. »Ich wünschte, ich hätte das in meinem Studium gelernt.«
K’un-Chien strahlte ihn aus ihren blauen Augen an. »Ich wäre erfreut, wenn ich dir alles, was ich weiß, beibringen könnte, May-Son.«
Mason grinste. »Ich werde dein gelehriger Schüler sein.«
Auch Tree lächelte und fand es schwieriger denn je, ihre selbst auferlegte Distanz zu K’un-Chien zu wahren. Zweite Frau war wie die Stadt selbst: zauberhaft.
Tree schloss die Augen. Ist es wirklich möglich, dass ich mich in eine Frau verlieben könnte? Sie wusste es nicht. Sie re dete sich ein, dass die Frage irrelevant sei, weil K’un-Chien nicht der Mensch war, den sie lieben wollte. Ich möchte mit Mason zusammen sein.
Sie wusste noch genau, wie leicht und vollkommen sie ihr Herz verschenkt hatte, als sie so alt wie K’un-Chien gewesen war. Doch es hatte sich als gefährliches, verrücktes Wagnis erwiesen. Nachdem Mason aus ihrem Leben verschwunden war, hatte sie sich gefühlt, als wäre ihr Herz verloren gegangen, als wäre es außerhalb ihrer eigenen Mitte gefangen, gefesselt an sein früheres Leben.
In den letzten Wochen hatte sie begonnen, sich klarzumachen, dass sie den Mann, den sie liebte, möglicherweise nicht würde zurückgewinnen können. Seine Probleme waren tief greifend, persönlich, ganz die seinen. Dieses bisschen Ehrlichkeit hatte sie sich leerer denn je fühlen lassen.
Jetzt aber, als sie die Augen aufschlug und ihr K’un-Chiens strahlende Güte entgegenwallte, keimte in Tree die Hoffnung, dass sie vielleicht etwas noch Zentraleres als Masons Liebe würde zurückgewinnen können – ihr eigenes Selbst, ihr Licht. Die Art, wie sie einmal die Welt geliebt hatte – naiv vielleicht, aber tief und wahrhaftig –, bevor sie dazu übergegangen war, sich von allem und jedem zu distanzieren.
In den blauen Himmeln von K’un-Chiens Augen sah Tree die Welt wieder auf diese Art.
Es geht gar nicht um Mason. Es geht um mich. In Wahrheit bin ich hier, um Tree Summerwood wieder zu finden.
Diese Erkenntnis gab ihr so viel Mut, wie sie seit Jahren nicht mehr gehabt hatte.
18
Jenseits des lärmenden Marktplatzes konnte Mason wieder das entfernte Rauschen des Wasserfalls hören. Ein Stück vor ihnen verzweigte sich der gepflasterte Gehsteig in verschiedene Richtungen. Eine Kolonnade führte zu Masons und Trees Palast zurück.
Das rechtwinklige Erdgeschoss des kleinen Palastes trug ein Dach aus hellblauen, gewellten Keramikplatten; über diesem glasierten Ozean war das obere Stockwerk kreisrund, mit einem zapfenförmigen Dach aus roten Kacheln; ein drittes Dach, leuchtend gelb und wie ein Sonnenschirm geformt, krönte die Zapfenspitze, an der meterlange, in allen Regenbogenfarben schimmernde Seidenbänder im Wind flatterten, der an den Felswänden hinabtoste.
Tree, Mason und K’un-Chien trafen vor der runden Eingangstür ein. Die untere Hälfte, die bis zur Brust reichte, war aus massivem Mahagoni; darüber hing eine feine, offene Holzschnitzarbeit, Goldfische, die zwischen Lotusblüten schwammen.
K’un-Chien blieb vor der Tür stehen. »Mit deiner Erlaubnis würde ich gerne meinen Bruder besuchen gehen, May-Son«, sagte sie. »Ich würde abends wieder zu Hause sein, um das Essen zu kochen.«
»K’un-Chien, du brauchst mich nicht um Erlaubnis zu bitten«, sagte Mason. »Du bist ein freier Mensch.« Er lächelte. »Verstehst du? Du bist weder meine Sklavin noch meine Dienerin – du bist – nun, du bist meine Frau. Das heißt aber nicht, dass du mir gehörst.«
K’un-Chien schaute verlegen auf ihre Füße und fragte mit leiser Stimme: »Stelle ich dich nicht zufrieden,
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