Das Geheimnis am goldenen Fluß
getötete Biene verströmt einen stark riechenden Duftstoff, der sofort die anderen alarmiert. Sie fliegen in Schwärmen herbei und folgen dem Duft zu ihrem Ziel und stechen und stechen, bis die Kreatur, egal ob Mensch oder Tier, aufhört zu schreien und sich zu winden.«
»Ist das deinen Brüdern passiert?«
Meng Po schüttelte den Kopf. »Dies wäre meinen Brüdern und mir passiert, wenn K’un-Chien uns nicht gerettet hätte. Wir wanderten fröhlich singend durch den Wald und freuten uns auf das klare, erfrischende Quellwasser. Der Weg zum Fluss führt am Fuße der Westwand entlang.
Tausend Fuß über uns, mitten in der Felswand, muss ein Honigsammler versehentlich eine Biene zerquetscht haben. Der Schwarm fiel über die Frau her. Wir hörten einen Schrei, schauten auf und sahen eine von Bienen umhüllte, um sich schlagende Gestalt. Sie fiel von der Strickleiter und schlug nicht weit von uns auf. Einige Dutzend Bienen schwärmten nach uns aus, und wir rannten zum Wasser. Sie holten uns ein und zerstachen uns von Kopf bis Fuß. Wir schrien, aber wir wussten, dass wir uns nicht wehren durften. Wir rannten weiter. Als wir das Wasser erreicht hatten, fing mein Vater plötzlich an, die Bienen zu vertreiben, und erschlug sie auf unseren Rücken und Köpfen. K’un-Chien schrie, dass er aufhören solle, doch ihm war die Gefahr nicht bewusst. Er war ein Barbar, genau wie du, aus einem weit entfernten Land.«
»Das ist schrecklich.«
»Der Hauptschwarm der Bienen hob sich wie eine schwarze Sturmwolke von dem toten Honigsammler und jagte uns hinterher. Das Summen war ohrenbetäubend; ich weiß noch, wie das Geräusch in meiner Brust vibrierte. K’un-Chien packte ein kleines Schilfrohrboot, das am Ufer lag, und stieß es ins Wasser, während meine Brüder und ich in den eisigen Fluss sprangen. Die dunkle Wolke umhüllte meinen Vater, und er stürzte am Ufer auf die Knie; er schrie kein einziges Mal, sondern fiel einfach nur tot um.«
»Ihr konntet nicht lange den Atem anhalten«, sagte Mason. »Wie seid ihr hochgekommen, um Luft zu schnappen?«
»K’un-Chien drehte das Boot auf den Kopf, so dass wir darunter gefahrlos atmen konnten.«
»Klug von K’un-Chien.«
Meng Po nickte. »Aber meine Brüder waren schlimmer gestochen worden als K’un-Chien und ich; ihre Augen schwollen schon so sehr an, dass sie nichts mehr sehen konnten und in Panik gerieten. Die Bienen über dem Boot machten einen fürchterlichen Krach. K’un-Chien sprach zu uns mit gefasster Stimme und versuchte, uns zu beruhigen. Sie sagte, dass wir uns unter dem Boot flussabwärts treiben lassen würden; nach einigen Meilen würden die Bienen verschwinden, und wir konnten unter dem Boot hervorkommen.«
»Guter Plan.«
»Ja, und er hätte funktioniert, doch unser gemeinsames Karma wollte es anders. Du musst wissen, dass einige Kilometer flussabwärts unsere Seidenfabrik steht. Sie benutzten ein Wasserrad zum Antreiben der Webstühle. Wenn sie das Schleusentor öffnen, um das Rad in Bewegung zu setzen, wird der Fluss ins Tal umgelenkt und fließt durch eine steil abfallende Holzrinne in die Tiefe, bis er auf das große Wasserrad trifft. K’un-Chien merkte nicht, was geschah, bis wir in der reißenden Strömung gefangen waren. Wir trieben auf die Holzrinne zu. K’un-Chien packte mich und meine beiden Brüder, und wir bildeten eine Kette und kämpften uns ans Ufer, doch Yu Sheng und Hsiao Chu wurden fortgerissen. Beide wurden in das Wasserrad gespült und zerquetscht.«
»Aber das war doch nicht K’un-Chiens Schuld.«
»Sie ist bloß eine Frau. Deswegen hätte sie bei ihrem Versuch, die anderen zu retten, sterben müssen.«
»Aber – sie hat dich gerettet. Dies wäre ihr nicht gelungen, wenn sie umgekommen wäre. Sie musste überleben, um wenigstens dich ans Ufer zu bringen.«
»Das ist exakt der Grund, weshalb ihr Leben verschont wurde. Ansonsten hätte man sie in die Oberhölle verbannt.«
Mason schüttelte den Kopf. »Und ihr Verbrechen bestand darin, überlebt zu haben, während zwei ihrer Brüder umkamen.«
»Genau. Deswegen wurde sie aus der Gesellschaft ausgeschlossen und muss seitdem ein gesichtsloses Leben führen.«
»Es fällt mir schwer zu akzeptieren, dass ihre eigene Mutter kein Nachsehen mit ihr hatte.«
»Unsere Mutter, die Kaiserin, lehnte K’un-Chien von Anfang an ab. Eine alte Hebamme entband das Baby, und sobald mein Vater der Kaiserin eröffnete, dass es ein Mädchen sei, wandte sie sich von ihr ab und sagte, das Kind
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