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Das Geheimnis am goldenen Fluß

Titel: Das Geheimnis am goldenen Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Canter Mark
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Person in Schande leben muss?«
    »Das ist einfach: weil statt ihrer selbst ihre Brüder starben. Sie war dabei, an dem Tag, als es geschah, genau wie ich. Als Frau war sie entbehrlich«, sagte er. »Wäre sie bei dem Versuch, die anderen zu retten, umgekommen, wäre sie ohne Schande begraben worden. Oder noch besser, hätte sie die anderen gerettet und wäre dabei ertrunken, hätte sie ein ehrenvolles Begräbnis bekommen. Oder am besten, hätte sie die anderen vor dem Ertrinken gerettet und selbst überlebt, hätte sie als große Heldin gegolten. Aber überlebt zu haben, während ihre Brüder starben, galt als unverzeihliche Schande.«
    Mason seufzte. Die sexistische Argumentationsweise basierte auf den Idealen des Konfuzius – des Großen Lehrmeisters. Er spürte einen Stich im Magen.
    »Nun wird K’un-Chien verachtet«, sagte Meng Po. »Du musst wissen, dass viele der älteren Mädchen in Gedanken schon mit meinen Brüdern verheiratet waren und nur darauf warteten, dass sie Männer wurden. Mein ältester Bruder, Yu Sheng, war so alt wie ich heute.« Er senkte den Kopf und kraulte mit den Fingerspitzen Kikis weichen Pelz; der Weisheitsaffe lag auf seinem Schoß und schnurrte vor Wohlbehagen leise vor sich hin. »Heute sehen mich die Mädchen genauso an wie damals ihn. Sie bringen mir Geschenke …«
    »Und K’un-Chien? Wie denkt sie über das, was geschah?«
    »Sie empfindet große Schuld, weil sie damals überlebt hat. Deswegen erträgt sie es nicht, darüber zu sprechen. Ich dürfte der Einzige sein, der es ihr nie vorgehalten hat. Sie rettete mir das Leben. Sie versuchte, auch die anderen Brüder zu retten, doch das Schicksal riss sie aus ihren Händen.« Er seufzte schwer. »Ich liebe sie. Sie ist nicht bloß meine Schwester – außer Kiki ist sie mein einziger echter Freund.«
    Mason schob seine große Hand zwischen den Gitterstäben hindurch und strich dem Jungen über die glatten schwarzen Haare. »Bitte sieh in diesem Barbaren hier einen weiteren echten Freund.«
    Meng Po schaute nicht auf, sondern nahm Masons Hand in seine, legte sie an sein Herz und hielt sie dort fest. Meng Po gab keinen Laut von sich, doch Mason spürte den pochenden Herzschlag des Jungen, während seine Schultern bebten und heiße Tränen auf Masons Haut fielen. Kiki wimmerte leise und küsste und streichelte den Kopf des Jungen. Mason versuchte sich vorzustellen, was die Tragödie für Meng Po, K’un-Chien und die gesamte Bevölkerung bedeutet haben musste.
    »Vergiss nicht, was ich dir bei unserer ersten Begegnung sagte«, flüsterte Mason. »Wir sind eine Zweierbruderschaft.«
    Meng Po schaute zu Mason auf, sein Gesicht tränenüberströmt. »Ja.« Schnaufend trocknete er seine Wangen an einem fließenden gelben Ärmel. »Eine Zweierbruderschaft. Ich danke dir, Älterer Bruder.« Er drückte Masons Hand, und Mason lächelte und erwiderte den Händedruck.
    »Erzähl mir, was geschah – wenn du darüber reden möchtest.«
    »Mein Vater hatte uns aus der Stadt eskortiert, um mit uns in einem wunderschönen Quellfluss zu schwimmen. Der Winter ist die trockenere Jahreszeit, und dies war ein besonders seltener Tag, denn den ganzen Nachmittag stand die strahlende Sonne am Himmel«, sagte er. »Hast du den dunkelroten Honig probiert, den sie auf dem Markt verkaufen?«
    »War der Beste, den ich gegessen habe, süß und duftend wie Blumen.«
    »Gleich jenseits der Stadtmauern befinden sich zahlreiche Bienenstöcke. Sie liefern goldenen Honig – er ist äußerst schmackhaft, aber lange nicht so himmlisch wie der dunkelrote. Den Berichten von Ko Tung Jens Hauptmann zufolge wurden diese gewöhnlichen Bienenstöcke aus dem Reich der Mitte hergebracht.«
    »Aus China.«
    »Ja. Doch kurz nach ihrer Ankunft, im Jahr des Hahnes, entdeckten unsere Kundschafter einen wahrhaft himmlischen Honig, den die hier beheimateten Wildbienen liefern. Aber wie mit allem Überirdischen sind große Erschwernisse zu überwinden, um an ihn heranzukommen.«
    »Inwiefern?«
    »Der rote Honig wird auf halber Höhe an der Westwand gesammelt, in einer Reihe von Höhlen, die in massive Bienenstöcke verwandelt wurden – von Bienen, die wir Gnan Di nennen – die Kriegsgöttinnen.«
    »Klingt gefährlich.«
    »Sind sie auch, sehr sogar. Die Honigsammler überleben nur, weil sie sich an die schmerzenden Stiche gewöhnt haben und nicht nach den Bienen schlagen. Eine Biene instinktiv totzuschlagen ist ein verhängnisvoller Fehler.«
    »Was geschieht?«
    »Die

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