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Das Geheimnis am goldenen Fluß

Titel: Das Geheimnis am goldenen Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Canter Mark
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gehöre nicht zu ihr. Daher zog er K’un-Chien alleine auf, in seinem eigenen Palast. Sie war sein Lieblingskind und sein gelehriger Schüler.«
    »Aber warum? Ich verstehe diese Ablehnung nicht. Bringen selbst Mütter-von-Söhnen nicht manchmal ein Mädchen zur Welt?«
    »Natürlich. Doch diese Mädchen werden ebenso abgelehnt. Jede Frau in unserer Gesellschaft kann Töchter haben. Einen Sohn kann hingegen nur die Mutter-von-Söhnen gebären. Und meine Mutter ist eine besondere Mutter-von-Söhnen, denn ihr ist vorherbestimmt, den Lung-Hu zur Welt zu bringen.«
    »Woher weiß sie das?«
    »Sie sah es in einer Vision.«
    Mason dachte an Trees Vision, die sie unter Einfluss des Schleimpilzes gehabt hatte. »Der Ling-Chih?«
    »Ja. Die Kaiserin darf den Ling-Chih benutzen, um Prophezeiungen zu machen. Ansonsten wird er nur zum Heilen verwendet.«
    »Doch selbst wenn er nur zum Heilen verwendet wird, hat der Patient Visionen, oder?«
    »Ja. Visionen der Vergangenheit oder der Zukunft. Doch nur der Kaiserin ist erlaubt, den Ling-Chih am Beginn ihrer Schwangerschaften zu benutzen, um die Zukunft ihrer Söhne vorherzusagen. Das wird als sehr wichtig erachtet, da es unserer Gesellschaft so sehr an Männern mangelt.«
    Die Neuigkeit verblüffte Mason. Bingo! Das ist es: Die eine Sache, die außer der Kaiserin keine andere Frau hier tut – jedes Mal, wenn sie schwanger geworden ist, reibt sie sich mit dem Schleimpilz ein.
    »Hatte sie denn nicht vorausgesehen, dass zwei ihrer Söhne umkommen würden?«, fragte Mason.
    »Nein. Als sie den Ling-Chih zum ersten Mal benutzte, sah sie, dass sie diejenige ist, die den Lung-Hu zur Welt bringen würde; seine Ankunft wird seit der ersten Kaiserin vorausgesagt. Und seitdem hat meine Mutter jedes Mal nur diese eine Vision, dass sie Mutter des Drachentigers sein würde. Die Tragödie, der zwei ihrer Söhne zum Opfer fallen würden, sah sie nicht voraus.«
    Mason saß schweigend da und verdaute das Gehörte. Er konnte es kaum erwarten, Tree die Neuigkeiten zu berichten. Irgendwie würde es ihnen gelingen, sich diese Informationen zu Nutze zu machen; vielleicht war dies sogar der Schlüssel für ihr Überleben und letztlich für ihre Flucht.
    »Die Kaiserin muss natürlich schwanger werden, um den Drachentiger zur Welt zu bringen«, sagte Mason.
    »Natürlich«, sagte Meng Po. »Deswegen seid du und Domino ja so wichtig für sie.«
    »Was?«
    »In zwei Tagen ist Vollmond. Dann findet die Ho-Ch’i-Zeremonie statt, bei der alle an den Liebesritualen teilnehmen. Du und Domino werdet im Tempel-der-Gebetsmatte eine sexuelle Zusammenkunft mit der Mutter-von-Söhnen haben.«

21
    Mason eilte zum Palast zurück. Am liebsten wäre er gerannt, doch dies hätte nur unnötige Aufmerksamkeit erregt. Es reichte, dass die in Paaren und Gruppen entgegenkommenden Frauen neugierig auf den gut gebauten Mann starrten, der inmitten der weiblichen Gleichartigkeit dahineilte. Als er sich der runden Eingangstür näherte, beschleunigte er seine Schritte. Er sah Tree hinter der offenen Holzschnitzarbeit auf und ab gehen. Als er die Tür öffnete, eilte sie ihm entgegen.
    »Du wirst nicht glauben, was ich von K’un-Chien erfahren habe«, sagte sie aufgeregt. »Ich weiß, wo der Tunnel ist, der in den Dschungel hinunterführt; ich kenne jetzt das Geheimnis dieser ganzen Drachen- und Tigerfraugeschichte –«
    »Großartig. Ich möchte alles hören, denn wir müssen schleunigst verschwinden. Noch heute Nacht.«
    »Was ist los?«
    »Komm, lass uns in den Garten gehen. Ich werde dir alles erzählen. Ich bin zu nervös, um mich hinzusetzen.«
    Sie traten ins Freie. Leichter Nieselregen hatte eingesetzt, und in dem feuchten Dunst kringelten sich Trees gewellte Haare in tausend kleine Locken. Sie gingen unter einer Kolonnade entlang, an deren Ende steinerne Stufen in einen tennisplatzgroßen Garten hinunter führten, in dessen grünen Grenzen sich etwa ein Dutzend verschiedene Terrains befanden. In einem Teil waren Zierbüsche in sanft geschwungene Formen geschnitten, die den eng umschlungenen Körpern zweier Liebender glichen; in einem anderen Teil lag ein schroffer Felsen in einem zwei mal drei Meter großen Kiesbett, in das ein kunstvolles Linienmuster geharkt war; in der Mitte des Gartens wand sich ein Bächlein durch eine Berglandschaft aus miniaturisierten Gipfeln und Wasserfällen; das Bild glich einer Szene aus einem chinesischen Landschaftsgemälde; im Teich am Fuße der kleinen Berge wimmelte es von

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