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Das Geheimnis am goldenen Fluß

Titel: Das Geheimnis am goldenen Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Canter Mark
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funkelte ihn an. »Wer hat dir das erzählt?«
    »Ich kam vor wenigen Tagen vorbei, um euch zu besuchen. Du und Tree habt in der Wanne gelegen und …« Er zuckte mit den Schultern. »Ich bekam alles mit.«
    Mason wurde verlegen. Plötzlich kam er sich klein und schwach und hohl vor. Es war, als hätten er und Domino ihre Geweihe gegeneinander gestoßen, und plötzlich war Masons Gestänge weich geworden wie gekochte Makkaroni. Er brachte keinen Ton heraus.
    »Hey, kein Problem, Mann«, sagte Domino und klopfte ihm auf die Schulter. »Tree ist trotzdem dein Mädchen, oder? Sie ist die Hübscheste von allen hier in der Stadt.«
    Ohne zurückzuschauen, eilte Mason in den abendlichen Dunst hinaus.

24
    K’un-Chien führte Mason und Tree an der Innenseite der Stadtmauer entlang, bis sie in einen dichten Hain aus tropischen Harthölzern gelangten. Ein massiver Feigenbaum, sein Stamm breit wie ein kleines Wohnzimmer, ragte neben der steinernen Mauer auf; an seinen dicken Ästen hingen vertikale Schösslinge zum Boden hinunter und bildeten zahlreiche Nebenstämme, wie Säulen, die dicke Deckenbalken trugen. Im hellen Mondlicht schimmerten seine im Wind flatternden Blätter wie auseinander stiebende Silberfischschwärme.
    Keiner hatte ein Wort gesprochen, seit sie eine Stunde zuvor, kurz nach Mitternacht, den Palast verlassen hatten. K’un-Chien kam Mason angespannt und traurig vor. Am Morgen hatte er sie in seinem formellsten und höflichsten Mandarin gebeten, ihm und Tree bei der Flucht zu helfen – und sie zu begleiten. Er wusste, wie weh es ihr tat, Meng Po zu verlassen, doch nach konfuzianischer Lehre konnte sie ihrem Mann die Bitte nicht abschlagen. Tatsächlich hatte Mason auch ihren Bruder mitnehmen wollen, doch ihm war diesbezüglich kein Erfolg versprechender Plan eingefallen. Im elfenbeinweißen Licht versuchte er nun, ihr Gesicht zu studieren, doch sie wandte sich von ihm ab.
    K’un-Chien legte ihren Bogen auf den Boden und streifte ihren Rucksack und ihren Köcher von den Schultern. Sie zog sich an einem Nebenstamm des Feigenbaums zu einem horizontalen Ast hoch, dann lief sie seitwärts zum Hauptstamm. Nachdem sie den nächsthöheren Ast erklommen hatte, war der Rest des Weges in den Baumwipfel so leicht, als würde man eine Leiter hochsteigen.
    Mason berührte Trees Arm. »Alles in Ordnung?«
    Tree nickte, während sie zusah, wie K’un-Chien den Feigenbaum erklomm. »Sie sieht unglücklich aus. Ich hoffe, wir tun das Richtige.«
    »Sie ist bereits eine Ausgestoßene. Glaubst du wirklich, sie wäre hier noch sicher, nachdem unsere Flucht bekannt wird?«
    Tree schüttelte den Kopf. »Nein. Es ist die einzige Möglichkeit.«
    »Außerdem glaube ich nicht, dass wir ohne ihre Hilfe weit kommen würden.«
    »Stimmt, aber Gott, sie ist so entsetzlich traurig wegen Meng Po.«
    Mason seufzte. »Er ist ein großartiges Kind. Wenn die Dinge anders lägen …«
    K’un-Chien ließ mehrere Seile herunter. Mason band ihre Proviantbündel fest, und K’un-Chien zog sie in den Baumwipfel hoch. Aus einem mehrfach verschnürten Paket drang ein schwacher, aber unangenehmer Geruch.
    »Was zum Teufel hat sie darin eingepackt?«, fragte Tree. »Stinkt wie verfaulter Fisch.«
    »Keine Sorge. Das ist nicht unser morgiges Mittagessen. Das ist ein Köder.«
    »Ein Köder?«
    »Du wirst schon sehen, wenn wir zur Felswand gelangen.«
    Dann kletterten Tree und Mason den ebenmäßigen schwarzen Nebenstamm hoch und folgten K’un-Chien in den Baumwipfel.
    Mason verfuhr nach der Methode, die er im Evakuierungstraining der Armee gelernt hatte. Fast ganz oben im Wipfel sitzend, legte er ein starkes Seil um den Stamm, band ein Seilende zu einer Schlaufe, die er sich um die Hüften schlang, schob das andere Ende durch einen offenen Gleitknoten und warf das Seil in voller Länge über die Mauer. Er schob sich rückwärts auf einen Ast hinaus, bis er über der anderen Mauerseite saß, dann ließ er sich hinunter, bis seine Stiefelsohlen die vertikale Oberfläche berührten. Er verlagerte seinen Schwerpunkt unter die Hüften und lief, das Seil durch seine Hände gleitend, den Rest der Mauer hinunter.
    Mason stand unten und dirigierte Trees Abstieg. K’un-Chien folgte.
    Wie er erwartet hatte, war es leicht gewesen, die Stadtmauer zu überwinden. Die Umgebung wurde nur von den zwei kleinen runden Stadttoren aus bewacht – und selbst diese Posten waren eher symbolisch denn von strategischer Bedeutung. Die Drachenfrauen gingen davon aus, dass

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