Das Geheimnis Dauerhaften Gluecks
beruflichen Tätigkeit unterwegs. Schließlich wurde er als Kandidat für eine größere Partei aufgestellt. Er freute sich darüber sehr und merkte, wie ihn die politische Karriere jetzt mehr faszinierte als seine Baufirma, die angesichts der ohnehin verschlechterten Auftragslage nicht sonderlich gut lief. Rüdiger wurde in den Vorwahlen mit überraschender Mehrheit bestätigt und war plötzlich ein wichtiger Mann, auf den die Öffentlichkeit blickte. Man sagte ihm gute Chancen für einen Wahlsieg im Kreistag voraus.
Herta war enttäuscht und verletzt, da Rüdiger sie weiterhin vertröstete und sie nach wie vor kaum Zeit miteinander hatten. Wenn er spät abends von Sitzungen nach Hause kam, schlief sie meist schon, und morgens tauschten sie lediglich To-do-Listen für den Tag aus. Einen längeren Urlaub hatten sie schon seit mehreren Jahren nicht mehr gemeinsam verbracht.
Sie wollte das »Spiel«, wie sie es nannte, nicht mehr mitspielen und weiter so tun, als wären sie ein glückliches Ehepaar. Rüdiger versuchte, ihr zu vermitteln, wie bedeutsam ihm dieser Erfolg sei und dass er gute Chancen habe, später sogar in den Landtag gewählt zu werden. Er bat sie um weitere Unterstützung und um Geduld, bis der nächste Wahlkampf vorbei sei. Herta gab erneut klein bei und sicherte ihm zu, geduldig zu sein. Der Tag kam und Rüdiger wurde Kreistagsmitglied. Sie feierten seinen Erfolg und für kurze Zeit war wieder ein Anflug von Hoffnung auf bessere Zeiten zurückgekehrt. Herta war stolz, dass ihr Mann solch große Beliebtheit erreicht und das Vertrauen der Wähler gewonnen hatte. Aber in ihrer Paarbeziehung änderte sich nichts grundsätzlich.
Jetzt, wo die Kinder das Haus verließen und ein recht ordentlicher Lebensstandard erreicht war, hätte es für sie als Paar endlich losgehen können. Jetzt hätte es nach Jahren derPflicht auch endlich mehr Lust in ihrem Leben geben können. Aber Rüdiger hatte die nächste Karrierestufe vor Augen und wurde auch von außen dazu animiert, seinem politischen Auftrag treu zu bleiben. Er fühlte sich verpflichtet, seinen begonnenen Weg weiterzugehen, und war wieder auf Hertas Unterstützung angewiesen. Herta aber drohte ihm immer öfter mit Trennung, wenn er seinen Kurs nicht ändere. Sie war verzweifelt und hin- und hergerissen: Einerseits konnte sie so nicht mehr leben und andererseits wollte sie das Erfolgsgebäude ihres Mannes nicht zum Einstürzen bringen. »Was werden die anderen denken, wenn wir uns trennen?«, fragte sie sich oft. Alle wären schockiert, angefangen bei ihren Eltern, einflussreichen Personen ihrer Umgebung und der Gemeinde.
Der politische Erfolg von Rüdiger hing davon ab, dass sie eine gute Ehe vorweisen konnten. Scheitern in der Ehe könnte leicht einem Scheitern in anderen Bereichen seines Handelns gleichgesetzt werden. Dies könnte auch das Vertrauen der Wähler schmälern. So hielt Herta die Situation weiterhin aus, drängte aber ihren Mann zu einer gemeinsamen Beratung, die sie gezielt weit entfernt von ihrem Wohnort begannen.
Der gute Stern
Zusammenbleiben, solange es geht – unter diesem Leitsatz wurde der Begriff der »Vernunftehe« geprägt. Dies ist keineswegs nur eine Beziehungsform früherer Generationen, auch heute bleiben viele Paare aus unterschiedlichen zweckgebundenen Gründen über viele Jahre hinweg zusammen. Häufig erhalten sie ihre Verbindung wegen der Kinder aufrecht, wegen des mit Liebe renovierten Hauses, wegen des gemeinsamen Geschäfts oder wegen der allgemeinen wirtschaftlichenNachteile, die aus einer Trennung für einen oder beide entstehen könnten. Das Fortführen der Partnerschaft hat damit auch Vorteile und einiges daran ist sicher wertvoll: Die Partner schützen sich vor einem schmerzlichen, vielleicht nicht verkraftbaren Verlust, vor dem Verlust der bestehenden Lebensqualität und vor dem Verlust des gemeinsamen Lebens mit ihren Kindern unter einem Dach. Denn dies geht unwiederbringlich verloren, auch wenn beiden eine friedliche Trennung gelingen sollte. Dieser Verlust aber ist in der Vorstellung der Partner mit so viel Leidvollem verbunden, dass sie die Aufrechterhaltung der Beziehung als weniger belastend erleben und glauben, sich mit der Fortführung der Beziehung einem geringeren Übel auszusetzen. Damit begrenzen sie das Ausmaß der Krise und respektieren ihre Grenzen der Belastbarkeit. Oft steht mit der privaten Krise auch beruflich so viel auf dem Spiel, dass es vernünftig ist, die Beziehungsform als
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