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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Marie Jakob
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schob sie vor sich her.
    Sie tasteten sich im flackernden Licht einer Fackel über die Trümmer der Kirche bis hinüber zum Hühnerhaus. Einmal blieb ihr Fuß an etwas hängen, und sie fiel auf einen weichen, klebrigen Haufen, von dem lauter Federn aufstoben. Es stank erbärmlich nach Innereien.
    Neben dem Haus standen etliche Knechte um ein Gewirr aus Balken und Fichtenstangen herum, wohl das ehemalige Dach. Der Sturm hatte es abgehoben und einige Schritte weiter wieder fallen lassen. Es sah aus wie ein großes Krähennest. Ein paar Balken waren beiseitegezerrt worden, so dass ein höhlenartiger Eingang entstanden war.
    »Da drin!«, sagte Friedrich mit bebender Stimme. »Sie ist da drin!«
    Judith bückte sich und kroch hinein. Zunächst sah sie nichts. Vorsichtig tastete sie sich vorwärts. Ihre Finger glitten an Baumrinde entlang und an grob behauenem Holz, ihre Knie schürften über Steine und Holzsplitter. Dann fühlte sie weiches langes Haar, ein warmes Gesicht.
    »Friedrich?« Eine schwache Frauenstimme, sehr jung. Sie hatte sie schon einmal gehört.
    »Ich bin Schwester Judith. Ich will Euch helfen, Melina. Habt Ihr Schmerzen?« Sie ließ ihre Hand an der Wange des Mädchens liegen, damit es ihre Nähe spüren konnte.
    »Nein. Mir ist nur so kalt.«
    Sie brauchte Licht. Doch eine Fackel wäre viel zu gefährlich, die trockenen Balken würden am Ende Feuer fangen.
    »Eine Öllampe, schnell!«, schrie sie über die Schulter. Draußen wurde ihr Befehl weitergegeben. Sie versuchte sich etwas bequemer hinzusetzen. Dabei verschob sich ein Holz in ihrem Rücken, und der wirre Haufen über ihr begann zu knarzen. Sie erstarrte. Wenn sie jetzt auch noch begraben wurde, war niemandem geholfen.
    »Erzähl mir von dir, Melina!«
    »Ich … bin Magd. Bei den … Hühnern. Friedrich hat …«
    »Die Öllampe! Hier ist die Öllampe! Seid vorsichtig damit.« Jemand schob ihr das Licht durch den Gang. Langsam zog sie es heran.
    »So, Melina, jetzt wird es hell.« Sie hob die Lampe vorsichtig herum und sah den Kopf des Mädchens. Wie sie schon vermutet hatte, war es die Magd, an der Friedrich »sich die Hörner abstoßen« sollte, wie sein Leibwächter es formuliert hatte. So wie der Junge reagiert hatte, war er jedoch ernsthaft in sie verliebt.
    Ihr Kopf schien heil zu sein, doch was sie von ihrem restlichen Körper sehen konnte, schaute nicht gut aus. Ein besonders dicker Balken lag auf ihren Oberschenkeln. Er war hoffnungslos verkeilt im Gewirr der anderen Stämme. Einfaches Herausziehen kam nicht in Frage. Neben ihr lag ein kaputter Holzeimer.
    Ein schrecklicher Verdacht kam ihr. »Wolltest du Wasser holen?« Sie fürchtete sich vor der Antwort.
    »Ja … In der Halle … Jemand rief nach Wasser für die … Verwundeten.«
    Judith schloss die Augen und holte tief Luft. Melina war hinausgelaufen, kurz bevor die schreiende Magd in die Halle kam und von der Windhose berichtete, die die Fürstenhäuser niedergemäht hatte. Sie war also geradewegs in ihr Verderben gerannt, denn danach nahm der Sturm sich die Kapelle und die Hühnerhäuser vor. Sie atmete aus und versuchte vorwärts zu denken. Sie musste dem Mädchen helfen, aber wie?
    »Melina, kannst du deinen rechten Fuß bewegen, nur ein bisschen?«
    Der Fuß lag frei, doch er zuckte nicht einmal.
    »Es geht nicht.«
    »Deine rechte Hand?«
    »Nein.«
    Da sie außerdem keinerlei Schmerz verspürte, war sicherlich die Wirbelsäule verletzt. Das Mädchen war vermutlich gelähmt. Sie streichelte sanft das warme Gesicht. Was sollte sie tun?
    Sie leuchtete den Rumpf ab. Aus der Bauchdecke sickerte Blut. Sie hatte noch weitere Verletzungen. Auf dem Boden unter ihr hatte sich bereits ein beachtlicher dunkler Fleck ausgebreitet. Es war aussichtslos.
    »Ich werde sterben, nicht wahr?«, flüsterte die Magd.
    »Melina … ich …«
    »Ihr müsst nicht für mich lügen. Es ist die Strafe Gottes für meine … Vermessenheit. Könnt Ihr mir die Beichte abnehmen?«
    »Eigentlich darf ich das nicht, ich bin nur eine Ordensschwester. Aber ich glaube, dass der Herr in diesem Fall eine Ausnahme macht.«
    »Ich habe Friedrich … geliebt. Ich habe geglaubt … die Regeln gelten nicht für mich.«
    »Melina, der Herr wird dir vergeben, wie er allen reuigen Sündern vergibt. Dir bleibt nicht mehr viel Zeit. Ich werde für dich beten, das verspreche ich dir. Und jetzt werde ich dir Friedrich schicken, damit er bei dir sein kann.«
    »Das ist … Ich danke Euch!«
    Sie stellte die

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