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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Marie Jakob
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Fackeln beleuchtete den Platz, der einem Ameisenhaufen glich, in dem man mit einem Stock gerührt hatte. Zwei der Fürstenhäuser waren vollkommen verschwunden. Lediglich das Haus des Kaisers stand unberührt in der Mitte. Die Kapelle lag in Trümmern, die Hühnerhäuser hatten keine Dächer mehr. Auf dem Boden lagen Holzbalken und Bretter, Töpfe, Kleidungsstücke, einzelne Schuhe in heillosem Durcheinander. Ein auf drei Beinen laufender Hund schleppte ein totes Huhn davon.
    »Wie mag es erst in der Zeltstadt aussehen«, murmelte sie.
    »Nicht so schlimm wie hier«, sagte Silas. »Es gab kaum Verletzte, die Zelte sind einfach nur weggeflogen.« Sarkastisch fügte er hinzu: »Rheinabwärts haben die Menschen in den nächsten Jahren keinen Mangel an gutem Leinen.«
    Der grauhaarige Messerwerfer eilte über den Platz. Seine Tochter war bei ihm.
    Sie trat dem Mann entgegen und drückte ihm ihr Beileid aus. »Wo ist sie?«, fragte er.
    Sie führte ihn in die Halle. Erst als er seine Frau dort liegen sah, schien er zu begreifen, dass sie wirklich tot war. Er kniete nieder, streichelte ihr Gesicht und begann bitterlich zu weinen. Seine Tochter schrie auf und warf sich neben ihm über die Leiche. Silas, der nach ihnen den Raum betreten hatte, sah sie verwundert an.
    Judith begriff, dass sie die andere der beiden Zwillingsschwestern war. Selbst in dieser bitteren Stunde durften die Schwestern ihr Geheimnis nicht aufdecken, denn sie mussten damit weiterhin ihren Lebensunterhalt verdienen.
    »Wir nehmen sie mit!«, sagte der Messerwerfer schließlich und stand auf. Vorsichtig, als könnte er ihr weh tun, hob er den Leichnam auf und wankte hinaus in die Nacht.
    Draußen wurden Rufe laut. Die Männer hatten unter den Trümmern der Kapelle jemanden gefunden. Wenig später trugen sie einen bewusstlosen Soldaten herein. Silas hatte inzwischen einen Tisch organisiert, damit sie die Verwundeten nicht auf dem Boden versorgen mussten. Zwei Öllampen spendeten spärliches Licht. Vorsichtig schnitten sie ihm die Kleidung vom Leib. In seiner Bauchdecke steckte ein daumendicker Holzsplitter. Judith tastete seine Knochen ab. Sie fand Brüche im Unterschenkel und im Handgelenk. Doch die konnten warten, zunächst mussten sie den Splitter entfernen. Sie hatten keine Ahnung, wie lang er war und was er im Innern des Körpers angerichtet hatte.
    Mit lautem Krachen flog die Tür auf, und ein junger Mann stürmte herein. Er war voller Dreck und Blut und noch halb in Rüstung. »Maure, Ihr müsst mitkommen, sofort! Sie stirbt sonst.«
    Judith horchte auf. Die näselnde Stimme – das war der junge Friedrich. Als er näher kam, sah sie auch seine hellen Augen, voller Angst und Panik im schmutzigen Gesicht.
    »Wer stirbt?«, fragte sie ruhig.
    »Melina! Sie liegt unter einem Balken, wir kriegen sie nicht frei!«
    »Wartet draußen, wir kümmern uns gleich um Melina«, sagte Silas, während er versuchte den Holzsplitter freizuschneiden.
    »Ihr werdet sofort mitkommen!« Friedrichs Miene verzerrte sich noch mehr, und er griff an seine Seite, wo jedoch kein Schwert hing.
    »Herr, ich habe hier einen schwerverletzten Mann liegen. Ich muss ihn wenigstens so weit versorgen, dass er nicht verblutet.«
    »Er ist unwichtig!«, schrie Friedrich völlig außer sich. Er sah sich um, und sein Blick fiel auf ein Skalpell, das Silas sich bereits zurechtgelegt hatte.
    »Friedrich! Nein!« Judith trat ihm in den Weg. »Ihr seid heute zum Ritter geworden. Wollt Ihr so in Euren neuen Stand eintreten? Indem Ihr Euren Willen mit Gewalt erzwingt?«
    »Geht mir aus dem Weg, Frau. Viel zu oft kommt Ihr mir in die Quere. Mir scheint, Ihr hängt an meinem Schicksal wie eine lästige Klette.«
    »Da habt Ihr recht, sogar mehr, als Ihr ahnt.«
    »Was meint Ihr damit? Wollt Ihr mich einlullen mit Eurem Geschwätz?«
    Silas räusperte sich. »Schwester Judith, Ihr habt viel mehr Erfahrung mit komplizierten Fällen. Geht mit dem jungen Herrn und seht Euch Melina an. Ich bleibe hier und bereite alles für ihre Versorgung vor.«
    Friedrichs eisgraue Augen hetzten hin und her, als würden sie die Falle in diesem Vorschlag suchen. »Er hat recht, Friedrich. Er ist ohnehin nur mein Gehilfe.« Die Worte stolperten sehr mühsam über ihre Lippen, und sie spürte, wie sie rot anlief. Aber ihr Gesicht war genauso schmutzig wie seines, und obwohl er wusste, dass Silas der Leibarzt seines Vaters war und somit keinesfalls ein Gehilfe, schluckte er den Köder.
    »Na los!«, knurrte er und

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