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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Marie Jakob
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geraten. Einzig seine Krankheit war wohl nicht geplant gewesen.
    Ein kalter Schauer erfasste sie, und sie trat näher an das Feuer. Wie hatte sie glauben können, dass die Geschichte vorbei und vergessen war?
    »Mutter Judith?«
    Sie drehte sich um. Er stand an der Tür, die Hand bereits am Riegel.
    »Aber ja, natürlich werde ich für ihn beten. Und niemand wird davon erfahren.«
    Als er draußen war, schloss sie die Augen und faltete die Hände. »Gottvater, steh mir bei. Gib mir Weisheit und Zuversicht, leite mich aus diesem tiefen Tal. Amen.«
    In der Nacht lag sie wach und grübelte. Als die Schwestern bei Tagesanbruch zur Laudes in die Kirche eilten, war ein vager Plan in ihrem Kopf herangereift.
    Nach dem Frühstück sattelten die Männer ihre Pferde. Zwei Knappen trugen eine eiserne Kiste in die Zelle der Äbtissin. Die Priorin wuselte über den Hof und scheuchte die Novizinnen zum Reinigen des Gästehauses. »Dankt Gott, dass wieder Ruhe einkehrt!«, rief sie ihnen nach.
    Als Heinrich sich verabschiedete, reichte er ihr einen schweren faustgroßen Lederbeutel. »Ich stehe in Eurer Schuld, Mutter Oberin. Solltet Ihr jemals meine Hilfe benötigen, schickt mir einen Boten.«
    »Das weiß ich zu schätzen, Durchlaucht. Achtet auf Eure Gesundheit, und Gott sei mit Euch!«
    Markward von Annweiler verbeugte sich lächelnd, als er an ihr vorüberritt.
    Während die Priorin im Vorratskeller mürrisch die verbliebenen Würste zählte, trug Judith den Lederbeutel in ihre Zelle. Als sie ihn öffnete, fielen lauter Silbermünzen heraus. »Silberlinge!«, murmelte sie vor sich hin. »Der Lohn des Judas.«
    Dann betrachtete sie die Kiste neben der Tür. Sie war größer, als sie erwartet hatte, beinahe wie der Sarg eines Säuglings. Sie war vollkommen aus Metall, mit eisernen Bändern verstärkt und mit einer massiven Platte auf dem Deckel, die wahrscheinlich den Schließmechanismus enthielt. Ein Schlüsselloch war nirgends zu sehen. Wozu auch? Sie besaß ohnehin keinen Schlüssel.
    »Ach, Friedrich, wer hätte das gedacht?«, flüsterte sie und breitete sorgfältig eine bestickte Decke aus weißem Leinen über den Herzsarg.
    Dann eilte sie zum Wirtschaftshaus, wo die Knechte gerade ihr Frühstück beendeten. »Hermann, du wirst in die Stadt gehen und den Goldschmied herbestellen!«, befahl sie dem Küchenjungen. »Guntram, du kommst mit mir in die Kirche. Es gibt Arbeit.«
    Guntram war der älteste von den im Kloster angestellten Arbeitern und handwerklich sehr geschickt. Sie wusste, dass er sich auch mit dem Steinsetzen auskannte. »Wenn du hier drin eine Kiste mit alten Kirchenpapieren vergraben müsstest, wo würdest du das tun?«
    Wenn der Alte sich über diese Frage wunderte, ließ er es sich nicht anmerken. Er sah sich um und überlegte. »Vor den Altarstufen. Dort sind die Steine leicht herauszuheben. Es muss auch nichts abgestützt werden. Und man kann die Dokumente jederzeit wieder ausgraben.«
    »Bei den Säulen also besser nicht?«
    Er warf ihr nun doch einen merkwürdigen Blick zu. »Ehrwürdige Mutter, die Säulen sind der Nerv des Baus. Wenn Ihr dort graben lasst, kann es sein, dass die Fundamente Schaden nehmen. Was das bedeutet …«
    »… brauchst du mir nicht zu erklären.« Sie versuchte belanglos zu klingen. »Wie ist es um den allgemeinen Zustand der Kirche bestellt? Du siehst wohl immer mal nach dem Rechten, oder?«
    »Ja, ehrwürdige Mutter. Langfristig müssen wir uns um die Säulen sorgen, die das westliche Seitenschiff abgrenzen. Besonders die vordere neigt sich etwas. Wenn Ihr genau hinseht, könnt Ihr das mit bloßem Auge erkennen.« Er deutete nach vorn in Richtung Altar.
    »Was können wir tun?« Während sie durch das Kirchenschiff gingen, flatterten ihre Gedanken wie aufgescheuchte Vögel durcheinander.
    »Nun, es ist meines Ermessens nicht dringend. Das Fundament muss auf der Seite, nach der sich die Säule neigt, verstärkt werden. Offensichtlich gibt der Untergrund nach. Hier war früher ein Sumpf. Vielleicht solltet Ihr dafür einen Baumeister anfordern, der sich besser auskennt als ich.«
    »Sicher hast du recht. Lass vorsichtshalber ein Loch ausheben, falls er sich das Fundament ansehen will.«
    Guntram sah sie verständnislos an. »Wo soll ich graben lassen?«
    »An der Säule natürlich.«
    »Und vor dem Altar?«
    »Das hat noch Zeit. Ich muss die Papiere erst zusammenstellen.«
    Nach der Sext, dem Mittagsgebet, traf der Goldschmied im Stift ein. Sie nahm ihn sofort mit in ihre

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