Das Geheimnis der Äbtissin
Seine Augen waren grau, das hatte sie beim Abendessen gesehen. Auch der Bischof hatte graue Augen gehabt, doch hatte sie im herzlichen Blick des Königs nicht die kalte Härte wiederfinden können, mit der Konrad seine Gegner fixierte. Das Einzige, was an den Bischof erinnerte, war der große, muskulöse Körper, der jetzt im Fieber glühend vor ihr lag. Doch kräftig gebaut waren die meisten Ritter, das wollte nichts heißen. Sie zuckte mit den Schultern und schalt sich wieder mal eine dumme Gans. Sollte es ihr nicht egal sein? Schuldbewusst faltete sie die Hände und begann für die Genesung des Königs zu beten.
Markward von Annweiler wählte am nächsten Morgen zwei fähige Ritter aus der Begleitung des Königs und schickte sie voraus zur Wartburg. Sie würden dem Landgrafen Hermann von der Verzögerung berichten und den Vertrag über die Belehnung Thüringens vorbereiten. »Aber mehr als eine Woche kann ich nicht versprechen«, sagte er mit gefurchter Stirn zu Judith.
»Mit Gottes Hilfe muss das reichen«, erwiderte sie.
Tatsächlich erholte sich Heinrich zusehends. Bereits nach zwei Tagen war das Fieber gesunken, und er aß mit Appetit. Markward ließ aus der Stadt Göttingen einige Säcke Mehl holen. So konnte ordentliches Brot gebacken werden, und Mutter Augusta schlug nicht mehr die Hände über dem Kopf zusammen, wenn die Ritter den Speisesaal betraten.
Schon bald begann der König unruhig zu werden. Sie traf ihn am Pferdestall, als er zufrieden strahlend von einem kleinen Ausritt zurückkam. »Ich bin nicht vom Pferd gefallen, Mutter Oberin. Es geht mir wieder gut.«
»Eine Woche hat mir von Annweiler versprochen, Durchlaucht. Lasst ihn nicht wortbrüchig werden«, mahnte Judith.
»Aber die Woche ist morgen um«, sagte Heinrich grinsend und sah aus wie ein Junge, der dem Koch ein Stück Wurst unter dem Messer wegstahl. Sie zählte in Gedanken nach, wie viele Tage sie die Ritter beherbergten. Es waren sechs. Wenn sie nicht kleinlich war und den Tag der Abreise mitzählte, hatten sie Wort gehalten.
Am selben Nachmittag lief ihr Markward von Annweiler über den Weg. »Judith, wir verlassen Euch morgen.«
»Keinen Tag zu spät!«, entgegnete sie.
Er neigte den Kopf. »Denkt Ihr auch an Euer Versprechen?«
»Selbstverständlich.«
»Wie Ihr Euch sicher vorstellen könnt, quält mich hier ohnehin die Langeweile. Am liebsten würde ich sofort mit Euch reden.«
Sie sah nach der Sonne, die sich allerdings hinter dicken grauen Wolken versteckte, die mit noch mehr Schnee drohten. Bis zur Vesper war gewiss noch Zeit. »Also gut. Für einen Spaziergang ist wohl nicht das richtige Wetter. Lasst uns in den Speisesaal gehen.«
Sie ließ einen Krug Wein auf den Tisch stellen und sorgte dafür, dass sie nicht gestört werden würden. Dann schenkte sie ein, wobei sie ihren Becher nur halb füllte. Einen vernebelten Kopf konnte sie jetzt nicht gebrauchen. »Also, was wollt Ihr wissen?«
»Wie seid Ihr Beatrix zum ersten Mal begegnet?«
»Sie war noch sehr jung, als Friedrich sie zur Frau nahm. Er wollte wohl, dass sie noch ein wenig reifte, bevor er die Ehe vollzog. Also ließ er sie bei uns. Wir waren zwei Mädchen in ihrem Alter …«
»Zwei?«, unterbrach er sie.
Wusste er nichts von Isabella? Langsam wurde ihr warm.
»Isabella von Vohburg, sie lebte auch bei uns«, plapperte sie drauflos. Dann erzählte sie von den guten Französischkenntnissen der jungen Prinzessin und von dem Unfall ihres Bruders, in der vagen Hoffnung, dass er weniger fragen würde, je mehr sie redete. »Beatrix blieb bei uns bis zu ihrer Krönung im Herbst, also nur ein paar Monate.«
»Warum wollte sie später Euch als Heilerin?«
»Ich weiß es nicht, vielleicht, weil ich eine Frau war? Und außerdem …«
»War sie denn krank?«
Was willst du hören?, fragte sich Judith und schenkte Markward Wein nach. »Ab und zu schon. Auf der Reise durch die Berge hatte sie öfter Probleme mit ihrer Blase. Es war nachts sehr kalt in den Bergen. Aber das wisst Ihr besser als ich, schließlich seid Ihr …«
»Wer gehörte noch zu ihrer Begleitung?«
Aha, jetzt ist es vorbei mit der sanften Linie, wir kommen zur Sache, dachte sie sarkastisch. Sie drehte ihren Becher auf dem Tisch. Wenn sie ihn nicht misstrauisch machen wollte, musste sie so oft es ging bei der Wahrheit bleiben. »Nun, ihr Beichtvater natürlich, der Bischof. Ich glaube, er hieß Konrad. Und der Herzog von Burgund, er führte ihr Heer. Leider ist er vor Crema gefallen.«
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