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Das Geheimnis der Äbtissin

Das Geheimnis der Äbtissin

Titel: Das Geheimnis der Äbtissin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Marie Jakob
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hölzernen Gang fand sie Ludwig, Isabella und zwei Soldaten der Wache über die Mauerkrone gelehnt. Ihr Bruder wies gen Norden und rief: »Jetzt sehe ich es auch!«
    Sie schob sich neben ihn. »Was siehst du?«
    Ein übermütiger Blick streifte sie, bevor er sich wieder auf die weite Ebene zwischen Harzgebirge und Wippertal richtete. »Siehst du dort hinten die Rauchsäule einer Köhlerhütte? Dicht vor dem kleinen Bruder des Blocksbergs?«
    »Ja. Und?«
    »Dort ist es
nicht!
« Er prustete laut los, Isabella lachte, und auch die Wachsoldaten fielen ein.
    »Du bist gemein!« Sie versetzte ihm eine halbherzige Ohrfeige, die ihn jedoch nicht aus der Stimmung brachte. Wütend über ihre Dummheit, folgte sie einfach den Blicken der anderen und konzentrierte sich. Unverhofft kam ihr die Sonne zu Hilfe, die gerade hinter einer Wolke hervortrat und weit vor den Harzbergen Metall blinken ließ. Eine dünne Schlange aus hellen Tupfern wand sich über eine kleine Anhöhe. Ihr Kopf steckte offenbar bereits in dem Waldgebiet zwischen Wipper und Vorharz, ihr Ende zog sich gerade aus dem Gebirge. Zwischen den größeren Flecken, die sich als Planwagen herausstellten, konnte sie Pferde erahnen, von deren Rücken es immer öfter hell aufblitzte.
    »Ein Heerzug«, murmelte sie.
    »Nicht irgendein Heerzug«, korrigierte Isabella ungeduldig. »Es ist der Heerzug, auf den wir alle warten. Es ist der Kaiser!«
    »Aber wieso kommt er denn von Norden?« Sie starrte verblüfft auf den sich durch die Landschaft windenden Wurm aus Leibern und Karren, über dem eine Staubfahne wie ein Schleier hing.
    »Hörst du nie zu, wenn dein Vater erzählt? Er kommt aus Braunschweig, bringt Heinrich den Löwen mit.«
    Hinter ihr begann Ludwig über den Hof zu schreien: »Der Kaiser! Hört ihr? Der Kaiser zieht heran! Am Abend ist er da!«
    Das geschäftige Wirtschaften auf dem Hof hielt einen Moment inne. Dann erhoben sich Stimmen, wie ein Hagel Pfeile sauste die Neuigkeit durch Wirtschaftsräume, Küche und Ställe.
    Das Geschehen auf dem Hof bekam plötzlich Flügel. Die Magd, die eben noch die Brotlaibe in den Backofen geschoben hatte, rannte mit der leeren Schüssel zurück zur Küche. Jetzt musste noch einmal Teig angesetzt werden. Aus der Spinnstube liefen die Frauen hinüber zum Saal, wo sie dringender gebraucht wurden. Eine Gruppe dienstfreier Wachsoldaten, die sich beim Würfeln in der Sonne den Rücken gewärmt hatte, sprang eilig auf und strebte zum Tor. Der Verwalter scheuchte ein paar halbwüchsige Jungknechte mit Reisigbesen auf den Hof. Der Gehilfe des Kochs lief zum Brennholzstapel neben dem Küchenhaus. Eine Küchenmagd eilte mit einem Eierkorb unter dem Arm zum Hühnerstall, und der Mundschenk verschwand im Vorratskeller.
    Und doch rannen die Stunden so zäh wie der Saft aus einer Kerbe im Birkenstamm. Isabella und Judith halfen beim Herrichten der Tafeln im Saal. Als die ersten Fanfarentöne zart wie das Piepsen eines gerade geschlüpften Kükens über den Hof drangen, ließ Judith den Blumenschmuck fallen und rannte los. Außer Atem schob sie sich oben auf dem Wehrgang neben den Wachsoldaten, der mit einer Fanfare hantierte, um das Signal zu beantworten.
    Der Weg zum Pass über die Hainleite führte am Fuß des Bergsporns vorbei, auf dem ihr Urgroßvater Beringar die steinernen Mauern der Burg hatte errichten lassen. Von dort aus war es noch eine knappe halbe Stunde bis zum Haupttor, denn der Höhenunterschied verlangte eine langgezogene Kurve als Wegstrecke, die an ihrer steilsten Stelle trotzdem noch zusätzliche Gespanne für schwere Fuhrwerke erforderte. Die ersten Reiter waren also für die Burgleute schon zu sehen, obwohl sie nur vorbeizogen und noch ein gutes Stück Weg vor sich hatten.
    Judith jauchzte auf, als sie an der Spitze des Zuges die goldgelbe Fahne mit dem schwarzen Adler des Kaisers neben Heinrichs Löwenbanner erkannte. Die schwer gepanzerte Vorhut ritt direkt dahinter, drei Pferde nebeneinander, mehr ließ die Breite der Straße nicht zu. Der Wachsoldat blies erneut die Begrüßungsfanfare mit den Signalen für sicheren Einzug in die Burg. Sie winkte mit beiden Armen. Einer der Fahnenträger schwenkte sein Banner als Antwort.
    Hinter ihr knarrte die Leiter. Ludwig sprang neben sie. In seinen Haaren hing Stroh. Offensichtlich war er im Pferdestall gewesen. »Ist der Kaiser schon in Sicht?«
    »Nein … Doch, da! Jetzt kommt er um die Biegung! Das muss er sein!«
    Ludwig nickte. »Unter den Helmen sehen alle Männer

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