Das Geheimnis der Äbtissin
gleich aus. Doch das ist sein Pferd.«
»Und dieser rote Mantel! Obwohl, der Reiter neben ihm, sieh nur! Ein leuchtend weißer Mantel auf dem schwarzen Pferd. Wie vornehm …«
»Das muss Heinrich der Löwe sein.«
Jetzt erweckte ein anderes Pferd ihre Aufmerksamkeit, das selbst von der Höhe der Mauern aus edler aussah als die derben Schlachtrosse der Kaiserlichen. Es tänzelte mit wehendem Schweif und schien keineswegs müde nach der langen Reise.
»Nawar«, flüsterte Judith.
Sie sah, wie der Reiter sein Gesicht nach oben wandte, das sie allerdings nur als hellen Fleck ausmachen konnte. Immerhin trug er keinen Helm. Sie wollte winken, doch da erkannte sie eine Frau auf dem Pferd vor ihm. Ihr gelbes Kleid leuchtete in der späten Frühlingssonne wie eine Löwenzahnblüte. Beatrix! Gleich neben ihr, das musste Konrad sein.
Sie drehte sich um und stieg die Leiter hinab. Ihr Vater stand vor dem Palas, neben ihm Isabella in Reitkleidung. Zu ihren Füßen saß Sida in erwartungsvoller Haltung. »Judith, wo ist Ludwig?« Er schien ungehalten. »Wir wollen dem Kaiser entgegenreiten!«
»Auf dem Wehrgang. Ich komme auch mit!«
»Dann sei in kürzester Zeit bei den Ställen, ich lasse dein Pferd satteln.«
Er rief nach seinem Sohn und winkte einen Stallknecht heran. Judith rannte in die Kemenate und zerrte in aller Eile ihr Reitkleid aus der Truhe. Das Umziehen dauerte viel zu lange, weil keine Dienerin in der Nähe war, die ihr die Verschnürung auf dem Rücken festzurren konnte. Als sie endlich über den Hof lief, kam ihr bereits ein Knecht mit ihrer Fuchsstute entgegen.
»Der Herr Graf wartet auf der Vorburg«, verkündete er und half ihr beim Aufsteigen.
Mehrere Soldaten, ein Fahnenträger mit dem Lare’schen Löwen und der Vogt Eckardt begleiteten sie. Im scharfen Galopp ging es den ebenen Weg entlang gen Westen, bis zur Kreuzung, wo die alte Handelsstraße von Nordhusen nach Mülhusen aus dem Hochwald trat.
Schon bald drang erregtes Wiehern aus der Schlucht, die Hengste der Vorhut witterten die fremden Pferde. Der Fahnenträger blies ein Signal, das freundliches Willkommen verhieß. Schnaubend und mit schaumigen Mäulern trabten die ersten Rösser aus dem Wald, und ihre Reiter wurden von den Wachsoldaten empfangen. Männer und Pferde waren mit Staub bedeckt, die Tiere ließen die Köpfe hängen. Dann blitzte das gelbe Banner durch das frische Grün der Buchen, und der Graf saß ab, um den Kaiser und dessen Vetter Heinrich zu begrüßen. Judith und Isabella stiegen ebenfalls aus dem Sattel und gingen vor dem Pferd der Königin in die Knie. Isabella trug eine halbherzige Begrüßungsformel vor, während Judith vergeblich nach Nawar Ausschau hielt. Offenbar hatte Silas sich zurückfallen lassen. Lediglich Bischof Konrad, der in blauen Samt gekleidet war, lächelte ihr gönnerhaft zu.
Auf dem Weg zur Burg führte der Kaiser das Gespräch, wobei es ausschließlich um den bevorstehenden Italienfeldzug ging. »Habt Ihr von Rainalds neuestem Glanzstück gehört, Graf?«
»Nein, ich weiß nur, dass er mit dem Wittelsbacher bereits in Italien ist, um Euren Feldzug vorzubereiten.«
Friedrich lachte genüsslich und streckte seinen Rücken im Sattel. »Er hat doch tatsächlich mit zehn Rittern eine Übermacht von dreihundert Reitern aus Ravenna in die Flucht geschlagen.«
»Gott schütze den Teufel, wenn Euer Kanzler in die Hölle kommt!«
»Und so kam der Wagen vor dem Ochsen. Wenn das schiefgegangen wäre, stünde Euer Feldzug gegen Mailand unter einem schlechten Stern«, knurrte Heinrich der Löwe.
Der Kaiser runzelte die Stirn. »Es ist nicht schiefgegangen. Im Gegenteil, er nahm den Podestà und seinen Sohn gefangen. Daraufhin legte Ravenna den Treueeid ab, die Städte Rimini und Ancona kamen wie die Hunde gekrochen und schlossen sich an.« Und in scharfem Ton fügte er hinzu: »Wären alle Ritter meines Heeres solche Teufelskerle wie von Dassel und der Wittelsbacher, dann müsste ich mir um den Feldzug keine Gedanken machen.«
»Stellt das Licht Eurer Soldaten nicht unter den Scheffel, Durchlaucht! Sie stehen alle mit ihrem Leben für Euch ein«, versuchte Graf Ludwig zu beschwichtigen.
Eine Weile ritten sie schweigend. Während vor ihnen Lares Mauern durch die Blätter der Buchen schimmerten, ergriff der Kaiser wieder das Wort. »Ich sage Euch, meine Herren, ich brauche jeden Vasallen, der ein Schwert führen kann. Ich muss den arroganten Stadtvätern endlich zeigen, wer die Macht hat. Wenn sie diesmal
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