Das Geheimnis der Äbtissin
nicht klein beigeben, könnte es sein, dass wir Oberitalien verlieren.«
»Und damit wäre Rom vom Rest des Reiches abgeschnitten«, ergänzte der Bischof.
»Eine Katastrophe!«, rief Graf Ludwig.
»Das werden wir verhindern«, sagte Friedrich. »Nicht wahr, Vetter Heinrich?« Es lag ein lauernder Unterton in seiner Stimme.
Judith ritt hinter Herzog Heinrich. So konnte sie seine halbherzig gemurmelte Antwort nicht verstehen. Aber sie sah die missbilligende Miene des Kaisers und hörte seine scharfe Entgegnung. »Habt Ihr bereits vergessen, wem Ihr die Reichsburgen im Harz zu verdanken habt?«
»Mit Verlaub, Friedrich, das war ein Tausch wie Huhn gegen Henne. Besitzt Ihr nicht seitdem die Burg Badenweiler?« Heinrich sprach lauter, der Zorn gab seiner Stimme Kraft.
»Vetter, wir wollen unsere Gastgeber jetzt nicht mehr mit unseren Querelen langweilen. Zu gegebener Zeit reden wir ein ernstes Wort über Eure Unverschämtheiten.« Der Kaiser wirkte ruhig, doch seine Augen glühten. Ein peinliches Schweigen senkte sich über die Männer, die an der Spitze ritten.
Judith wandte sich um, in der Hoffnung, einen schwarzen Hengst in der endlosen Schlange hinter sich zu erblicken. Sie erkannte lediglich Eckardt, der von seinem Pferd aus gestenreich mit den kaiserlichen Trossleitern die Einquartierung der vielen Menschen und Fuhrwerke organisierte. Verstohlen betrachtete sie Beatrix. Sie war reifer geworden in den vergangenen Jahren. Zwar war sie noch immer von zarter Gestalt, doch zeichneten sich üppige Brüste unter ihrem gelben Wollkleid ab, und ihre Miene wirkte selbstbewusster. Immerhin trug sie inzwischen die Krone des Römischen Reiches. Konrad ritt wie immer an ihrer Seite. Isabella hatte es bereits mit missbilligenden Blicken zur Kenntnis genommen. Der Bischof schien nicht älter geworden zu sein. Er war barhäuptig, der Frühlingswind zerzauste sein schulterlanges Haar. Geschmeidig wie eine Katze saß er im Sattel und lenkte sein Pferd nur mit den Schenkeln. Während die rechte Hand locker auf dem ledernen Knauf ruhte, gestikulierte er mit der anderen, und die Königin lachte leise über seine Worte.
Isabella beugte sich zu Judith hinüber. »Die Frucht ist reif, und es wird fleißig geerntet.«
»Sei nicht schon wieder so misstrauisch.«
»Du wirst sehen, diesmal beweise ich es dir.«
Während Beatrix mit ihren Truhen in die gräfliche Schlafkammer einzog, wurden für den Kaiser und seinen Vetter Heinrich im Saal Wannen aufgestellt, damit die hohen Gäste vor dem Essen ein Bad nehmen konnten. Die Mägde schleppten unter Gerlinds Aufsicht in Windeseile heißes Wasser, Seifen und angeraute Leinentücher heran. Sie halfen den Herren beim Ablegen der Rüstungen. Zotige Sprüche und das Kichern der Frauen heizten die Stimmung an.
Gerlind legte Judith das schwere Kettenhemd des Kaisers in die Arme. »Bring das zum Waffenschmied. Da sind zwei Stellen zum Ausbessern. Lass ihn das gleich reparieren und einölen.« Isabella erhielt einen ähnlichen Auftrag.
»Sie hat Angst, dass wir zu viel sehen«, murrte Isabella auf der Treppe vor dem Palas und rümpfte die Nase über dem Bündel verschwitzter Leinenwäsche in ihrem Arm. »Als ob ich nicht wüsste, was da drinnen jetzt passiert.«
»Sei froh. Stell dir vor, der Herzog bekommt Lust, seine Hitze an dir abzukühlen.«
»Warum nicht? Er ist ein stattlicher Mann. Groß, kräftig und in der Hose auch gut gewachsen.«
»Isabella! Er ist verheiratet!«
»Na und? Seiner Clemantia geht doch nichts verloren. Wenn er sich mit den Mägden vergnügt, kräht kein Hahn danach.« Sie trat wütend nach einem Huhn, das nicht rechtzeitig aus dem Weg lief.
»Das ist was anderes!« Judith sprach es aus und fragte sich im selben Moment, ob sie recht hatte. War es kein Ehebruch, wenn der Herzog eine Magd bestieg? Sie blieb stehen und starrte das schwere Gewirr aus Kettengliedern an, das sie vor sich hertrug. »Wenn der Kaiser sich jetzt eine Magd nimmt, dann kann doch Beatrix auch mit ihrem Bischof schlafen.«
»Sprich nicht so laut!«, zischte Isabella und sah sich um. »Erstens ist der Kaiser meist zurückhaltend bei den Mägden – jedenfalls sagt das Gerlind –, und zweitens ist der Bischof eben ein Bischof. Er hat ein Gelübde abgelegt.«
»Du hast recht! So wie er aussieht, vergesse ich das immer wieder.«
»Gefällt er dir etwa?«
Unwillig schüttelte Judith den Kopf. »Ich meinte, er kleidet sich nicht wie Pater Martinus. Er trägt weltliche Kleidung.«
Beim
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