Das Geheimnis der Äbtissin
du?«
»Ja, für Euch.«
Ungeduldig schob Beatrix die ordnenden Hände beiseite, schnürte ihr Gebände selbst fest und eilte die Treppe hinunter. Judith folgte ihr. Der Kurier setzte den Krug hastig ab, aus dem er gerade trank, und sprang auf, um sich tief zu verneigen.
»Was bringst du?«
Er zog eine Pergamentrolle aus der Lederhülse. Doch nicht so geheim, dachte Judith, sonst hätte Friedrich die Nachricht nicht aufschreiben lassen. Beatrix zerbrach das kaiserliche Siegel, nachdem sie es flüchtig geprüft hatte. Mit fliegenden Händen entrollte sie das Schriftstück und überflog die Zeilen. Eine leichte Röte stieg in ihr Gesicht, die sie gleich gesünder aussehen ließ.
Schließlich hob sie den Kopf und strahlte Judith an. »Endlich! Die Warterei hat ein Ende! Ich reite nach Italien!«
»Aber warum?«
Beatrix reichte ihr das Pergament. »Lies selbst!«
»Friedrich, durch die Gnade Gottes Kaiser der Römer und allzeit Augustus, an seine vielgeliebte Frau Beatrix, Königin der Römer, mit Gruß und dem Ausdruck zärtlicher Liebe …«
Ungeduldig überflog sie die langwierige Eingangsfloskel und die Fragen nach Beatrix’ Gesundheit. Als der Kaiser sich über die widerspenstigen Städte zu beklagen begann, wurde es interessant.
»… dass ich jetzt den Beschluss fasste, sie endgültig zu belagern und niederzuzwingen. Auch die Einwohner Cremonas bitten mich inständig, die Festungswerke Cremas zu zerstören. Sie bieten mir 15 000 Mark Silber, auf die ich schwerlich verzichten kann, füllt die Summe doch meinen stark angegriffenen Kriegsschatz wieder auf. Fürderhin benötige ich dringend Truppen, so dass ich nun auf Deine Soldaten aus Burgund zurückgreifen muss. Da ich weiß, wie sehr sie Eure Hoheit lieben und verehren, bitte ich Dich, sie mir umgehend zu schicken.«
Es folgten ausführliche Beteuerungen seiner Liebe und der Wunsch, sie möge wieder bei bester Gesundheit sein.
Strahlend blickte Beatrix zu ihr auf. »Na, was sagst du?«
»Hier steht nirgends, dass Ihr die Truppen begleiten sollt.«
»Papperlapapp! Natürlich werde ich selbst reisen!« Sie stand auf. »Und zwar so bald wie möglich. Es gibt jede Menge vorzubereiten.« Sie wandte sich an den Kurier. »Wann kannst du zurückreiten?«
»Morgen, Hoheit.«
»Sehr gut. Ich werde sofort einen Brief an den Kaiser aufsetzen. Und einen an den Herzog von Burgund. Wir brauchen einen weiteren schnellen Boten.«
Der Mann verneigte sich.
»Lass dir vom Vogt ein Quartier anweisen. Morgen früh erwarte ich dich bei Sonnenaufgang.«
Judith hielt noch immer das Pergament in der Hand. Beatrix’ Geschäftigkeit überrollte sie. »Hoheit, Eure Gesundheit ist nach wie vor angegriffen. Wollt Ihr wirklich diese beschwerliche Fahrt auf Euch nehmen?«
Beatrix zog die Augenbrauen hoch. »Aber Judith, begreifst du denn nicht? Diese Reise ist die beste Arznei für mich. Wie lange warte ich darauf, den Kaiser wiederzusehen?« Ihre Miene wurde nachdenklich, dann fiel ihr etwas ein. »Wenn du dir Sorgen um mein Wohlergehen machst, warum kommst du nicht mit? Von einer Heilerin begleitet zu werden würde mir gefallen.«
Judith verschlug es die Sprache. Sie sollte nach Italien reisen? Der anfängliche Schrecken wich einem gewaltigen Glücksgefühl. Welch ein Abenteuer! Und sie würde Silas wiedersehen. »Gern!« Mehr brachte sie nicht heraus.
»Na dann, worauf warten wir?« Beatrix klatschte in die Hände.
Zwei Tage vergingen mit den Vorbereitungen. Ein Dutzend Ritter sollte sie begleiten, weiterhin zwei Diener und zwei Stallburschen, die sich um die Pferde kümmerten. Packpferde trugen das Gepäck sowie Schilde, Bögen und Lanzen der Ritter. Die Königin verzichtete trotz Margots heftigen Protesten auf ein Gefährt und ein größeres Gefolge, da sie schnell reisen wollte. Schon ein einziger Wagen hätte den Trupp unbeweglicher werden lassen. Ein Kurier war mit einem offiziellen Schreiben in der Satteltasche nach Burgund aufgebrochen. Herzog Berthold wurde darin aufgefordert, das burgundische Heer aufzubieten und nach St. Gallen am Bodensee zu bringen, wo Beatrix warten würde, um gemeinsam mit ihm über die Alpen zu ziehen.
Ludwig war bitter enttäuscht, dass er zu Hause bleiben sollte.
»Du musst als ältester Sohn den Grafen vertreten«, tröstete Judith, »hast du das vergessen?« Als er sie zweifelnd ansah, fügte sie hinzu: »Vogt Eckardt ist alt, Ludwig. Unterstütze ihn, so gut du kannst. Ich werde Vater berichten, dass seine Grafschaft in
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