Das Geheimnis der Äbtissin
guten Händen ist.«
Gerlind würde sich um Beringar kümmern. Der Junge hing ihr sowieso am Rockzipfel, seitdem Katharina gestorben war. Er war der Einzige, der zu dieser frühen Morgenstunde der Abreise der Königin unbekümmert entgegensah.
Isabella gab sich gelassen, doch Judith nahm ihr die Gleichgültigkeit nicht ab. »Lass dir die Zeit ohne uns nicht zu lang werden, hörst du?«
»Ich hab genug zu tun. Jetzt, wo es meiner Stute bessergeht, freue ich mich auf das Fohlen. Vielleicht besuche ich auch meine Mutter, das habe ich schon lange vor.« Sie beugte sich vertraulich vor. »Pass gut auf unsere Hoheit auf«, flüsterte sie und grinste vielsagend, während sie Bischof Konrad musterte, der als Truppführer an der Spitze der Soldaten reiten würde.
Judith verdrehte die Augen und stieg in den Sattel.
Die ersten Tage verliefen ohne Zwischenfälle. Sie übernachteten in Klöstern und auf den am Wege liegenden Reichsburgen, manchmal auch in den Wirtshäusern direkt an der Straße. Die beiden Frauen schliefen dann in einfachen Gästezimmern, der Bischof mit den Rittern im Schankraum und die Knechte bei den Pferden. Vom dritten Tag der Reise an plagte sie ein kühler Regen, der trotz der gewachsten Umhänge bis auf die Haut drang. Am Tag darauf klagte Beatrix erneut über Blasenbeschwerden. Von der Wirtin einer Schenke erbat Judith Zwiebeln, aus denen sie einen Brei stampfte, den sie erwärmte und der jammernden Königin auf den Bauch packte.
Am fünften Tag klarte der Himmel auf, und am späten Nachmittag erreichten sie Würzburg. Judith starrte von ihrem Pferd entsetzt hinunter auf den Schmutz zwischen den schmalen Hütten am Rande der Stadt und fragte sich, wie Menschen in diesem Gestank Tag für Tag leben konnten. Erst in der Nähe des Marktes wurden die Häuser größer und die Gossen sauberer. Hier wohnten Kaufleute und reiche Handwerker. Sie bezogen Quartier im Haus des Bürgermeisters, und Beatrix stimmte widerwillig zu, einen Tag Pause einzulegen. Judith war froh darüber, denn noch nie hatte sie so lange im Sattel gesessen, und ihre Wundsalbe, die auch die Königin benutzen musste, ging zur Neige. Die Frauen liefen durch die engen Gassen der Stadt und genossen das Gefühl, zu Fuß zu gehen. Nachdem sie beim Bader Salbe gekauft hatten, zeigte ihr Beatrix den St. Kiliansdom, in dem sie – beinahe auf den Tag genau – drei Jahre zuvor mit dem Kaiser vermählt worden war. Staunend stand sie am Eingang und sah das endlos lang erscheinende Kirchenschiff mit gleichmäßig geschwungenen Stützbögen an beiden Seiten, hinter denen jeweils ein weiterer großer Raum zu erahnen war. Langsam und ehrfürchtig schritt sie in Richtung Altar und blieb schließlich zwischen den ersten beiden Pfeilern an der Vierung stehen, die in den Himmel zu wachsen schienen. Hier drin könnten Palas, Kapelle und der Bergfried von Lare gleichzeitig Platz finden, dachte sie.
»… als der Bischof uns an den Altar winkte, wollte ich aufstehen. Es ging nicht, und ich dachte, es hält mich jemand fest. Doch der Schleier hatte sich an einem Holzsplitter am Stuhl verhakt. Meine Zofe musste ihn erst lösen, und Friedrich …«, schnatterte Beatrix neben ihr.
Judith fragte sich, ob die neue Klosterkirche in Mönkelare auch so groß werden würde. Immerhin hatte Konrad davon gesprochen, dass sich die baufällige Kapelle auf Lare neben der Basilika wie David neben Goliath ausmachen würde. Sie legte den Kopf in den Nacken und bewunderte die eleganten Bögen, die sich über den beiden Pfeilern in schwindelnder Höhe an der Decke der Kirche trafen. Eine tiefe Ehrfurcht erfasste sie, und sie schlug unwillkürlich ein Kreuz.
Beatrix schaute sie argwöhnisch an. »Hörst du mir überhaupt zu?«
»Natürlich. Blieb der Schleier wenigstens ganz?«
»Pass auf, ich zeig dir was!« Ausgelassen wie eine Achtjährige lüpfte Beatrix ihren Mantel und lief zur Mitte der Vierung. »Bleib genau dort stehen. Rühr dich nicht vom Fleck!« Damit sprang sie nach rechts in das Querschiff und war verschwunden.
Judith schüttelte den Kopf, gehorchte jedoch und bewunderte in aller Ruhe den prächtigen Altar. Der Chorraum erstrahlte im frühen Sonnenlicht, das weich und schillernd wie Seide durch die hohen Fenster einfiel.
»Judith!«
Sie zuckte zusammen und fuhr herum. Beatrix’ Stimme klang laut und deutlich durch das Kirchenschiff, doch sie war nirgends zu sehen. »Judith! Hörst du mich, Judith? Juuudith!«
Sie drehte sich im Kreis. Wie eine
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